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Haut

Haut

Titel: Haut
Autoren: Mo Hayder
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trug eine lederne S&M-Haube mit Reißverschlüssen und war nackt bis zur Taille. Er bereitete ein paar Werkzeuge vor und hielt sie ins Bild. Der andere war neunzehn ebenfalls nackt bis zur Taille, aber nicht freiwillig. Er war bewusstlos und unter Drogen und lag angeschnallt auf einer Werkbank. Er rührte sich nicht, bis der Vermummte eine Bügelsäge an seinen Hals legte. Dann bewegte er sich doch, und zwar heftig.
    Dieses Video war überall bei der Polizei berüchtigt. Die Presse wusste, dass es existierte, und hätte alles darum gegeben, um wenigstens Teile davon zu sehen. Es zeigte den Tod und die Beinaheenthauptung eines Jungen namens Jonah Dundas. Caffery war nur wenige Minuten zu spät in diesen Raum eingedrungen, um ihn noch zu retten. Die meisten Kollegen, die bei der Operation Norwegen dabei gewesen waren, bestanden darauf, dass der Ton abgestellt wurde, wenn sie sich das Video ansehen mussten. Nicht Caffery. Für ihn gehörte es einfach nur zur Suche nach Antworten.
    Er ließ es bis zu der Stelle laufen, wo er hereingestürmt und der Vermummte geflüchtet war. Dann ging er zurück zum Anfang, zu dem Teil, der ihn interessierte: zu den ersten fünf Minuten, die Dundas allein und festgeschnallt in dem Raum verbracht hatte, bevor der Vermummte mit der Enthauptung begann. Caffery drückte sich die Kopfhörer an die Ohren, rutschte auf seinem Stuhl nach vorn und beugte sich zum Monitor.
    Der Name »Operation Norwegen« war beliebig gewählt. Der Fall hatte nichts mit Norwegen zu tun, aber alles mit Afrika. Der Mann mit der Sadomaso-Haube - der »Onkel«, wie sie ihn nannten - hatte ein Projekt in der afrikanischen Community von Bristol betrieben. Habgier, Sadismus und Zufall hatten dazu geführt, dass er sich einen uralten Glauben der Community zunutze machen konnte, der vage als »Muti« oder afrikanische schwarze Magie bezeichnet wurde: den Glauben, dass manche Teile des menschlichen Körpers zur Behandlung von medizinischen oder spirituellen Problemen benutzt werden könnten. In den letzten zehn Jahren hatte es in ganz Europa nur acht ähnliche Fälle gegeben, und für die britische Polizei war es Neuland gewesen. Aber sie hatten immerhin erfahren, dass ein menschlicher Kopf, der Kopf eines jungen Mannes - besonders wenn er dem Opfer bei lebendigem Leib abgetrennt worden war -, in manchen Kreisen Unsummen von Geld einbrachte. Das war Dundas' Pech gewesen.
    Die Operation Norwegen war geplatzt, bevor der Kopf verkauft werden konnte, und die Polizei hatte zwei Personen verhaftet: den Vermummten - einen Einheimischen - und einen illegal eingewanderten Afrikaner, der ihn in diesen Gebräuchen unterwiesen und ihm geholfen hatte, Kunden für seine Ware zu gewinnen. Der Afrikaner befand sich immer noch in Haft und versuchte, die Polizei davon zu überzeugen, dass sein Name Johnny Brown sei und er einen britischen Pass besitze. Bei der Durchsuchung hatten sie festgestellt, dass er einen Schlüsselanhänger mit der tansanischen Nationalflagge bei sich trug und sein T-Shirt in Tansania hergestellt war, und jetzt kämmte die MCIU Akten aus Daressalam nach Hinweisen auf ihn durch.
    »Was ist denn das?« Superintendent Rolf Powers, der Chef der MCIU, öffnete um zehn nach neun die Tür. »Kein Licht? Ist ja wie im Zimmer meines halbwüchsigen Sohnes.« Er schaltete die Leuchtstoffröhren ein. »Wo waren Sie? Ich habe soeben eine ganze Pressekonferenz über den Fall Kitson ohne Sie abhalten müssen.«
    Caffery stoppte die DVD und drehte den Monitor so, dass der Superintendent ihn sehen konnte. »Schauen Sie sich das an.«
    Powers tat es und runzelte die Stirn. »Das ist die Operation Norwegen. Damit sind wir fertig. Die Unterlagen dürften Ende des Monats bei der Staatsanwaltschaft sein.«
    »Sehen Sie mal.« Caffery tippte auf den Bildschirm. »Es ist wichtig.«
    Powers, ein großer, breitschultriger und gut gekleideter Mann, schloss die Tür und kam herein. Sicher war er früher sportlich gewesen, aber seine Lebensweise hatte ihren Tribut gefordert. Er legte die Mappe, die er in der Hand hielt, auf den Schreibtisch und zog sich einen Stuhl heran.
    Auf dem Standbild, das Dundas auf dem Tisch zeigte, sah man noch eine Gestalt, die neben seinem Kopf stand und der Kamera den Rücken zuwandte. Sie war vorgebeugt und konzentrierte sich auf irgendeine Tätigkeit. Als sie Dundas' Kopf nach den Festnahmen in die Rechtsmedizin gebracht hatten, war festgestellt worden, dass ihm Haarbüschel fehlten, - und zwar an der Stelle, auf
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