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Haut

Haut

Titel: Haut
Autoren: Mo Hayder
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Nichts bewegte sich in den Schatten, kein Tier und kein Wind. Am Rand des Wassers blieb er stehen und tastete die Rückseite seines Beins ab, um sich zu vergewissern, dass die Wunde sich durch das Gehen nicht wieder geöffnet und zu bluten angefangen hatte.
    Im Steinbruch war es still. Wo mag er wohnen?, dachte er. Wo versteckt er sich?
    Er ging fünfzig Meter weiter am Wasser entlang bis zu der Stelle, wo man Ben Jakes gefunden hatte, blieb stehen und sah sich das Gestrüpp an. Nichts hatte sich verändert. Er ging weiter, gegen den Uhrzeigersinn um den Steinbruch herum. Alle paar Augenblicke blieb er stehen und lauschte in die Nacht. Hier und da war der Weg nicht passierbar, und er musste sich durch Dornengestrüpp und abgestorbene Zweige kämpfen. Er befand sich kurz vor der Stelle, an der er den Motorroller gefunden hatte, als er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb.
    Drei Schritte vor ihm, im Gebüsch und mit Zweigen bedeckt, stand ein Auto. Ein silbergrauer Ford Focus. Es sah aus, als würde er schon lange dort stehen. Seit Tagen, nach dem Reisig zu urteilen, das ihn bedeckte. Aber Caffery wusste, dass das nicht sein konnte. Er trat näher an den Wagen und legte eine Hand auf die Motorhaube. Sie war noch warm. Jemand hatte den Focus hier versteckt. Er drehte sich um und ließ den Blick über den Steinbruch wandern. Das Wasser und die Bäume ringsum waren absolut unbewegt. War jemand hier? Wurde er beobachtet? Von den Bäumen her? Von der anderen Seite des Steinbruchs?
    Das Tramadol wirkte noch nicht, und sein Puls schlug schneller, als er sich wieder dem Wagen zuwandte und durch das Gestrüpp zum Heck herumging. Nachdenklich betrachtete er das Nummernschild. Es war ein altes Y-Kennzeichen. Ein Ford Focus mit einem alten Nummernschild.
    Langsam wie eine träge Welle überkam ihn die Erkenntnis.
    Er wusste, wem der Wagen gehörte.
    Sergeant Marley hatte gesagt, der Focus sei ihr langweilig geworden. Langweilig? Er zog den Ärmel über die Hand und drückte auf die Kofferraumverriegelung. Abgeschlossen. An dem Tag, als sie im Steinbruch den toten Hund gefunden hatte, war eine Veränderung mit ihr vorgegangen, als er sie nach diesem Wagen fragte.
    Ein halb erinnerter Gedanke regte sich. Er trat ein paar Schritte zurück ins Unterholz und betrachtete noch einmal das Kennzeichen. Er hatte diesen Wagen schon ein paarmal gesehen - einmal an dem Tag, als sie die Täter der Operation Norwegen festgenommen hatten; da hatte er vor einem einsamen Haus in den Mendip Hills gestanden, und er hatte Zeit gehabt, ihn genauer anzusehen. Er kniff die Augen zusammen, als er sich erinnerte: Auf der Ablage hatte die Ausrüstungstasche einer polizeilichen Unterstützungseinheit gelegen und noch etwas anderes... etwas Wichtiges. Ein Stück Stoff hatte aus dem Kofferraum gehangen. Ein violetter Samtfetzen, der sich im Schloss verklemmt hatte.
    In seiner Tasche klingelte das Telefon. Erschrocken wich er ins Gebüsch zurück, angelte das Telefon aus der Tasche und drückte hastig auf die grüne Taste.
    »Ja?«, flüsterte er. »Was ist?«
    »Jack?« Es war Powers. Seine Stimme klang leise und gut geölt nach einem feucht-fröhlichen Abend. »Hab Ihre Nachricht gehört und eben erst erfahren, was passiert ist. Tut mir leid, Jack, wirklich.«
    »Ja.« Caffery wandte den Blick nicht von dem Auto. Violetter Samt. Ein violettes Stück Samt, das im Kofferraumschloss dieses verdammten Wagens klemmte. »Schon klar.«
    »Wo sind Sie? Im Krankenhaus? Jemand von der Spurensicherung hat versucht, Sie zu finden. Er sagt, Sie hätten ihnen versprochen, Ihre Kleider abzuliefern, wenn Sie aus dem Krankenhaus kämen.«
    Violetter Samt. Auto, Jacke. Auto, Jacke. Misty Kitsons Jacke. Flea hatte sich gesträubt, in einem See nach ihr zu suchen.
    »Und ich... Haben Sie was für mich? Sie klangen etwas aufgeregt. Ging es um Misty Kitson?«
    »Kitson«, wiederholte Caffery abwesend, als hätte er den Namen noch nie gehört. »Misty Kitson.«
    »Sie haben gesagt, Sie hätten jetzt was für mich. Wissen Sie noch?« Powers machte eine Pause. »Können Sie mich hören, Jack? Sagen Sie mir einfach, was Sie herausgekriegt haben, was Ihr Informant zu sagen hatte, und dann sehen wir, wie es weitergeht. Ich kann zu Ihnen kommen, wenn Sie wollen. Sofort. Wo immer Sie sind.«
    Caffery antwortete nicht. Er starrte den Wagen an, nahm das Telefon vom Ohr und hielt es auf Armlänge von sich weg. Er ließ Powers ein paar Sekunden lang ins Leere sprechen und schaltete das
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