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Haut

Haut

Titel: Haut
Autoren: Mo Hayder
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innehielt. Sie hatte sie mit einem Arm vor sich umschlungen.
    Einen Moment lang glaubte er, sie denke nach und überlege sich, was sie als Nächstes tun solle. Aber dann erkannte er, dass da etwas ganz anderes vor sich ging. Sie hielt den Kopf leicht gesenkt, den Blick erhoben und schaute den schemenhaften Fleck an, der Misty Kitsons Gesicht sein musste. Hätte es nicht lächerlich geklungen, wäre es kein Widerspruch zu allem gewesen, was er sie gerade hatte tun sehen, dann hätte er gesagt, sie bitte Misty um Verzeihung.
    Er konnte jetzt zwischen den Bäumen hervortreten und bewegungslos im Mondlicht stehen bleiben, wo sie ihn sehen würde. Aber bevor er sich zu irgendetwas entschlossen hatte, zog sie die Maske vor das Gesicht, schlang das Band über ihre Ohren, umfasste die Leiche mit beiden Armen und fiel mit ihr wie ein Stein in den dunklen Spiegel des Wassers.
    Er war überrascht, weil es so schnell gegangen war. Hinkend verließ er das Dickicht, blieb in der Pfütze stehen, die ihre Ausrüstung am Boden hinterlassen hatte und spähte nach unten. Durch die Luftblasen konnte er sie gerade noch sehen: Fleas Hinterkopf, die weiß schimmernde Plastikplane mit Mistys Leiche und den zitternden Strahl ihrer Lampe.
    Dann waren sie verschwunden, und er sah nur noch die funkelnden Kuppeln der Luftblasen, die auf dem Wasser zerplatzten.
     

73
    Der Morgen dämmerte schon, als Flea endlich die schmalen Landstraßen in der Umgebung ihres Hauses erreichte. Sie fuhr in gleichmäßigem Tempo; ihre Augen waren müde und blutunterlaufen, und der Geruch des Steinbruchs hing ihr noch in der Nase. Nebel hatte sich in grauen Schleiern über die Gegend gelegt und machte die Kurven und Windungen der Straße tückisch. Ungefähr eine halbe Meile vor dem Haus schoss sie auf eine Haarnadelkurve zu. Sie trat heftig auf die Bremse und riss den Wagen nach links. Die Reifen rutschten weg, und das Lenkrad zerrte an ihrer Hand, aber sie hielt es fest, während der Wagen um die Kurve der schmalen Landstraße schlitterte. Die Räder blockierten, und der Wagen brach seitwärts aus und schlingerte mit quietschenden Reifen auf einen Baum zu. Der Aufprall presste sie in den Sicherheitsgurt, und ein scharfer Schmerz schoss durch ihre Rippen. Der Airbag explodierte und schlug ihren Kopf so heftig zurück, dass sie sich auf die Zunge biss.
    Ein Augenblick des Schocks, dann wich die Luft aus dem Airbag. Ihr Kopf kippte nach vorn auf die Brust.
    Einen Augenblick lang saß sie nur da und wartete darauf, dass der Nachhall vom Knall des Airbags in ihren Ohren nachließ. Blut quoll ihr in den Mund und sammelte sich unter der Zunge. Sie hielt es eine Weile hinter den fest geschlossenen Lippen und überprüfte im Geiste ihre Glieder und ihren Rumpf, wanderte konzentriert an ihrem Körper herunter und über Arme und Beine. Ihr Knie tat weh - sie war damit gegen die Lenksäule geprallt -, und das Brustbein schmerzte vom Druck des Sicherheitsgurts. Aber sie konnte ihre Zehen spüren, konnte sie bewegen.
    Sie öffnete die Tür und spuckte das Blut auf den Asphalt. Dann löste sie den Gurt, stieß die Tür auf, so weit es ging, und stieg behutsam aus, ohne den Brustkorb mehr als nötig zu bewegen. Der Wagen war fest in den Baum verkeilt; sie musste sich daran vorbeizwängen und mit kleinen, schlurfenden Schritten rückwärts hinausmanövrieren.
    Es war eine einsame Landstraße, gesäumt von blühendem Holunder und frischen Mohnblumen. In den Nebelschwaden hing der stechende Geruch des zerdrückten Wiesenkerbels von der Hecke, die der Wagen durchbrochen hatte. Die Frontscheibe war nass vom Tau des Baums, an den sie geknallt war. Flea ging um den Wagen herum und begutachtete den Schaden. Als sie vorn ankam und sah, was passiert war, holte sie tief Luft. Es war Glück und keine Absicht gewesen, aber irgendwie hatte sie es richtig gemacht.
    Sie ging zum Kofferraum, öffnete ihn und nahm den Müllsack mit Mistys Handtasche, Telefon, Sandalen und Jacke heraus. Die Farbdose, die sie hinten hineingestellt hatte, war umgekippt, aber nicht ausgelaufen. Mit ihrem Schweizer Messer hebelte sie den Deckel herunter und ließ die Farbe überall in den Kofferraum laufen.
    Sie warf noch einen letzten Blick auf den Wagen. Der Scheinwerfer, der Misty gerammt hatte, war im Baumstamm vergraben, und die Vorderräder waren aus der Achse seitwärts und zum Beifahrersitz zurückgedrückt worden. Das Blech des Motorraums und der Brandschutzwand dürfte ebenfalls gerissen sein. Die Karre war
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