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Haut, so weiß wie Schnee

Haut, so weiß wie Schnee

Titel: Haut, so weiß wie Schnee
Autoren: Bastei Lübbe
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ausgestopfte Tintenfische herunterbaumelten. Harpunen und Fischmesser schmückten die Wände. In einer Ecke stand eine Babybadewanne, in der sich lebende Krebse im Schlick suhlten. Dukie hatte den Schlamm eigenhändig aus einem Urlaub mitgebracht, was insofern beachtlich war, als er es hasste, sich die Hände schmutzig zu machen. Nicht einmal als Kind hatte er im Sand gespielt. Dies brachte ihm auch den Spitznamen Duke ein, zu Deutsch Herzog, den ein englischsprachiges Kind eines Tages auf dem Spielplatz eingeführt hatte. Nach kurzer Zeit war daraus Dukie geworden, und sein richtiger Name, Alexander, fiel seither kaum noch.
    Dukies Vater haderte mit der Einrichtung des Dachgeschosses dermaßen, dass er es seit mindestens einem Jahr nicht mehr betreten hatte. Die übrigen Etagen der Villawaren vollkommen anders eingerichtet. Hier erinnerte alles eher an ein französisches Schlösschen als an Seen und Ozeane, denn Frau Dr. Saalfeld liebte echte und unechte Louis-quinze-Möbel.
    Auch von außen war die Villa ein Prachtbau. Sie hatte einen weißen Anstrich, hohe Fenster und viel buntes Mosaik an der Fassade. Es gab Balkone und Erker, von denen die meisten mit schmiedeeisernen Gittern in Form von Schmetterlingsflügeln geschmückt waren. Die Attraktion im Innern war eine sechseckige, holzvertäfelte Eingangshalle, die sich über alle Etagen in die Höhe zog und oben von einem großen, bunt verglasten Dachfenster begrenzt wurde. Das Fenster zeigte eine prachtvolle Blumenlandschaft mit ineinander verschlungenen Pflanzen. Eine breite Wendeltreppe verband die Etagen des Hauses miteinander. Das Pflanzenmotiv tauchte auch an anderen Stellen im Haus auf: auf dem Bodenmosaik in der Eingangshalle, am Treppengeländer und an den Wänden.
    An der Westseite der Villa schloss sich über einen kleinen Flur ein separater Trakt an, der das persönliche Refugium des Hausherrn war. Er bestand aus einem Arbeitszimmer mit Zugang zu einer Veranda, einem Bad und einem Schlafzimmer. Direkt an das Haus angrenzend hatte Dr. Saalfeld eine kleine Tiefgarage bauen lassen, sodass keine parkenden Autos den Blick auf den Garten störten.
    Es klopfte, und im selben Moment ging die Tür auf.
    »Jonah, ich geh in die Stadtbibliothek. Möchtest du mit?« Es war seine Mutter. Mindestens einmal am Tag kam sie ins Dachgeschoss, um ihn zu irgendeiner Aktivität zu überreden. Meistens zog sie unverrichteter Dinge wieder ab.
    »Nein, danke«, sagte Jonah auch jetzt.
    »Aber du kannst doch nicht den ganzen Tag hier herumsitzen!«
    Doch, das kann ich sehr gut , dachte Jonah, aber er sprach es nicht laut aus.
    »Du leihst dir ein paar Hörbücher aus, und danach gehen wir Eis essen!« Ihre Stimme hatte jetzt einen drängenden Ton angenommen. Jonah hörte die bekannten Nuancen heraus: Unsicherheit, Verzweiflung, ihren Wunsch, alles richtig zu machen.
    »Lass mich in Ruhe«, knurrte er.
    Sie blieb noch eine Weile im Zimmer stehen; dann ging sie. Dukie, wie immer bei solchen Szenen, sagte nichts.
    Die Entenbrust war inzwischen kalt geworden. Jonah probierte trotzdem ein Stück. Die Haut war knusprig und mit Honig bestrichen. »Da sind sie!«, rief Dukie auf einmal aufgeregt. »Mitten im Gespräch.«
    »Ich habe noch eine Idee.« Dr. Saalfelds Stimme. »Aber das braucht ein bisschen Vorlauf. Und vielleicht klappt es auch nicht. Aber wir werden es als Plan B in petto haben. Ich lasse einen Schönheitswettbewerb ausschreiben. Direkt auf sie zugeschnitten: ›Großer Kosmetikkonzern sucht neues Gesicht: dunkle Haare, helle Haut, gerne mit charakteristischem Muttermal …‹ Vielleicht springt sie drauf an. Wir lassen sie dann gewinnen. Wenn wir bis dahin noch keine zuverlässige Genprobe haben, kriegen wir sie bei der Preisverleihung. Du kannst ihr dann ja die Haare frisieren.« Kai Saalfeld lachte über seinen eigenen Witz. »Und Blut abnehmen können wir ihr dann auch. Wir machen einfach einen Allergietest, ob sie die Kosmetika verträgt … Und eins noch: Ich will, dass du das Mädchen ab sofort rund um die Uhr überwachen lässt.«
    »Warum?«
    »Diese Geschichte mit dem Falken stört mich. Kann sein, dass noch jemand Drittes die Finger im Spiel hat. Ich willgenau wissen, mit wem das Mädchen Kontakt hat. Wir legen jetzt mal einen Gang zu.«
    »Sie gehen raus!« Dukie war entsetzt. »Verdammt! … Jetzt sind sie an der Garderobe … Die gehen in den Garten. Ich komme einfach nicht dazu, den Garten zu verwanzen.«
    »Reg dich nicht auf«, sagte Jonah. »Die sind
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