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Haut aus Seide

Titel: Haut aus Seide
Autoren: E Holly
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erklärte er voller Anspannung. »Ich liebe ihn wie den Vater, den ich niemals hatte.«
    Das war alles, was er zu sagen hatte, bevor sein kurzer Wutausbruch wieder abebbte. Lela verstand seine Sehnsucht nach einer Familie, nach einem Fels, an den man sich in der tosenden See klammern konnte. Es spielte keine Rolle, dass Andrew sich etwas vormachte. Sie konnte ihn nicht zwingen, sich seinen Gefühlen zu stellen. Nicht, wenn das bedeutete, die engste menschliche Verbindung zu zerstören, die er in seinem Leben hatte. Das brachte sie nicht fertig.
    »Wieso verteidigst du ihn überhaupt vor mir?«, fragte sie stattdessen. »Ich hätte eigentlich gedacht, du würdest dich freuen, wenn ich verschwinde.«
    »Aber er liebt dich.«
    Für Andrew war das Grund genug. Was immer Simon wollte, Andrew würde sein Bestes tun, damit er es auch bekam. So groß war seine Ergebenheit – und so gefährlich. Und genau dort lag der Unterschied zwischen ihnen. Lela würde niemals einen Freund um Simons willen verletzen. Sie liebte ihn zwar, doch diese Liebe erzeugte in ihr den Wunsch, ein besserer Mensch zu sein und kein schlechterer.
    »Du musst Simon nicht deine Seele verschreiben«, sagte sie. »Das würde er gar nicht wollen.«

    Andrew blinzelte. Lela wusste nicht, ob er sie verstanden hatte oder ob er sie überhaupt verstehen konnte. Sie seufzte und tätschelte seinen Arm. »Ich gehe wieder rein. Ich möchte auf Simon warten.«
    Andrew folgte ihr nicht. Er stand im Schatten der raschelnden Blätter – schlank, groß und einsam. Lela begriff, dass ihre Worte eine größere Strafe für ihn waren, als sie ihm auferlegen wollte.
    Wieder im Krankenhaus konnte Lela nicht stillsitzen und wanderte im Flur auf und ab. Wie verabschiedete man sich wohl von jemandem, den man seit seinem fünften Lebensjahr liebte? Lela fiel nicht mal jemand ein, den sie seit ihrem fünften Lebensjahr kannte. Sicher, irgendwo gab es diese Menschen – Sozialarbeiter, Pflegeeltern -, aber die Verbindung zu ihnen war schon vor langer Zeit gekappt worden.
    Wie sagte man einem Arzt, dass er jetzt die Maschinen abstellen konnte, die den eigenen Vater am Leben erhielten?
    Lela machte bei dem finsteren Porträt des Krankenhausgründers kehrt und setzte ihre unruhige Wanderung in der anderen Richtung fort. Plötzlich öffnete sich auf der Mitte des Flures eine Tür. Simon kam heraus und schloss sie so vorsichtig hinter sich, als könne die Person im Inneren des Raumes gestört werden. Seine Hand lag noch immer auf der Türklinke, als er mit gesenktem Kopf kurz innehielt. Dann sah er auf. Seine Augen blickten in die ihren, als hätte er genau gewusst, wo sie stand, und seine Lippen formten ihren Namen.
    Noch nie hatte Lela derartig tiefe Schatten auf seinem Gesicht gesehen. Und noch nie hatte sie eine solch innige Berührung ihres Wesens verspürt. Da Simon scheinbar
nicht in der Lage war, sich zu rühren, ging sie auf ihn zu und nahm ihn in die Arme. Er war größer und breiter als sie, doch er beugte sich hinunter, und seine Umarmung war so fest, dass sie ihr fast den Atem raubte.
    »Lela«, flüsterte er. »Er ist von uns gegangen.«
    Sie fand keine Worte, sondern hielt ihn nur fest, strich über seinen Rücken und gab ihm kleine Küsse auf die Ohrmuschel. Sein Atem stockte. Er drehte den Kopf zu ihr und presste seinen Mund auf ihren. Lela widersetzte sich nicht. Nicht, als seine Zunge in ihren Mund fuhr, nicht, als ihm die Tränen über die Wangen rannen, und auch nicht, als der Druck seines Geschlechts auf ihren Bauch von weich zu hart wechselte.
    Doch ganz plötzlich löste er sich aus der Umarmung und schaute weg. Nur eine seiner Hände griff blind nach der ihren.
    »Du bleibst doch hier, oder?«, fragte er und wischte sich mit derselben Ungeduld die Wangen, die seine Mutter vorhin gezeigt hatte.
    »Ja, ich bleibe hier.«
    Simon wirkte bereits etwas gefasster, als er sich wieder zu ihr drehte. »Es gibt so vieles, was ich dir sagen möchte, Lela. Über Meilleurs Amis . Über uns.«
    Lela lächelte und zuckte mit den Schultern. Nichts von alledem spielte jetzt eine Rolle. Selbst wenn Andrew ihr nicht das Ganze erklärt hätte, sie konnte jetzt nicht mehr an ihrem Zorn festhalten. »Du hast gesagt, dass du mich liebst. Du hast gesagt, dass ich das auf keinen Fall vergessen darf. Und das habe ich nicht.«
    Er schaute ihr in die Augen. »Ich möchte mit dir nach Hause gehen. Ich möchte die Nacht mit dir verbringen.«

    »Das wirst du wohl auch müssen. Ich habe mein
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