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Haut aus Seide

Titel: Haut aus Seide
Autoren: E Holly
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Champs Élysées zum Erblühen brachte. Die dürren Mädchen, die dieser Mann einst eingekleidet hatte, waren kaum mehr als Schattenfiguren. Seine Schönheit aber war nicht von Make-up, Beleuchtung oder guten Fotografen abhängig. Wie Feenstaub strahlte sie von seiner blassen englischen Haut aus, von dem gebändigten goldenen Haar, von den Händen, den Hüften und den freundlichen grauen Augen. Philip Carmichael war durch und durch schön – von innen wie von außen. Sein Lächeln konnte einen Raum erhellen, und auch seine Großzügigkeit gab immer wieder Anlass zum Staunen.
    Und sie hasste ihn von ganzem Herzen.
    Entziehen konnte Béatrix sich ihm dennoch nicht. Welch einen Unterschied die Anwesenheit eines Mannes doch machte! Noch vor sechs Monaten war dieser Raum kalt und abweisend gewesen. Ein Audienzzimmer für eine Königin, deren Bienenstock zwei Stockwerke eines Wolkenkratzers im La-Défense- Distrikt ausfüllte. Dieser
Stadtteil war im Gegensatz zum Rest von Paris keine Bastion des gemütlichen, antiquierten Charmes. Nein, das Manhattan an der Seine war neu, groß und bestand aus Stahl. Die perfekte Kulisse, um ins einundzwanzigste Jahrhundert zu starten, hatte ihre Mutter damals behauptet. Der Marmorfußboden zog sich wie eine Eisbahn bis zum Schreibtisch hin. Die Decke – ein ominöser schwarzer Spiegel – hatte allein durch ihre Höhe etwas Einschüchterndes. Die Möbel waren minimalistisch gehalten, bestanden aus Metall, Holz und Glas und waren geradezu schmerzhaft stilvoll. Nicht einmal der Ausblick, der den Eiffelturm, den Arc de Triomphe und die geschwungenen, weißen Kuppeln von Sacré-Cœur einbezog, hatte etwas Warmes. Und auch die vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster erzeugten ein Gefühl der Ehrfurcht, das eher beängstigend als angenehm war.
    Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sich nichts von alledem verändert. Und doch – seitdem Philip nun das Sagen hatte, lockte allein der Duft des Raumes die Besucher an. Der Konferenztisch war mit allen möglichen Dingen vollgeräumt: Modezeichnungen, ein paar willkürlich hingelegte Äpfel, und irgendwo lag ein einzelner, ramponierter Turnschuh. Die schwindelerregende Fensterflucht hinter ihm wurde von einem riesigen Bukett aus gelben und roten Tulpen verdeckt.
    Und dann war da noch Philip selbst. Der Mann wirkte trotz seines feierlichen schwarzen Anzugs und der wunderschönen, streng hinters Ohr gekämmten Haare nicht eine Minute furchteinflößend. Er trug sein Haar länger als die meisten Vorstandsvorsitzenden. Aber schließlich war er ja auch in der Modebranche tätig. Die
Zeiten, in denen er seine sonnengebleichte Mähne beim Lachen nach hinten geworfen hatte, waren allerdings vorbei. Damals war er jung und sorglos gewesen. Und arm natürlich. Ein unbändiger Draufgänger, der noch an seine Träume geglaubt hatte. Sich nach oben zu schlafen, war das Letzte gewesen, worauf er es abgesehen hatte.
    Er war gerade dabei, ein Portfolio von Entwürfen für eine Wohltätigkeitsveranstaltung durchzusehen – keine Zeichnung war von ihm. Seine Lippen, wohlgeformt und ausgeprägt, zogen sich vor Konzentration zu einem Schmollmund zusammen. Er hatte sehr elegante Hände, deren sorgfältige Maniküre von der Tatsache ablenkte, dass er auf seinen Nägeln herumbiss. Armer Philip. Er war ein guter Designer gewesen. Nicht brillant, aber doch mit einem gewissen Gespür. Seine Kleider waren tragbar und schmeichelhaft gewesen. Hätte er seine Kraft nicht darauf verschwendet, die exklusive Welt der Haute Couture zu erobern, wäre er sicher weit gekommen. Seine erste und einzige Show war ein Flop gewesen. Elle hatte sie »langweilig« genannt und Women’s Wear »öde«. Und das waren nur die gedruckten Kritiken. Die tonangebenden Damen der Gesellschaft hatten damals ihre Krallen sogar noch schärfer ausgefahren.
    Doch es war gefährlich, Mitleid mit Philip zu haben. Mitleid war eine Bedrohung für die Mauer, die sie Stein auf Stein um ihr Herz gezogen hatte. Béatrix räusperte sich und bereitete sich darauf vor, ihm unter die wunderschönen Augen zu treten. Er sah auf.
    »Hallo, Bea«, sagte er und legte den Kopf auf eine unverwechselbar hoffnungsfrohe Art zur Seite – das Lächeln unsicher und die Augen ganz dem Versprechen verpflichtet,
jedweden Ausbruch zu tolerieren, der aus ihr herausplatzen würde.
    » Allô , Phil«, erwiderte sie in vollem Bewusstsein, dass er diesen Spitznamen nicht mochte.
    Doch er zuckte nur kurz zusammen und zeigte dann auf einen
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