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Haut aus Seide

Titel: Haut aus Seide
Autoren: E Holly
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schwarzen Ledersessel, in dessen sanfter skandinavischer Umarmung Béatrix sogleich versank. Eine Ecke von Philips Schreibtisch wurde von einem englischen Teegedeck eingenommen, und Gentleman, der er nun einmal war, schenkte er seinem Gast sofort eine Tasse Darjeeling ein – ihre Lieblingssorte, nicht seine. Sie freute sich über ein Scone, frisch aus der Firmenküche, bestrich es mit Marmelade und lehnte sich zurück.
    Béatrix trug einen neuen, erdbraunen Anzug. Die eckig geschnittene Jacke und die Leggings waren eher bequem denn als schick zu bezeichnen. Aber Bea war nun mal die Art von Mädchen, die es bequem mochte. Sie schlug die Beine übereinander. Dabei wusste sie, dass sicher kein Blick auf ihren kräftigen Waden hängen bleiben würde. Und schon gar nicht der Blick dieses Mannes. Schwarze Locken, Sommersprossen und eine Figur, die im besten Fall als üppig zu bezeichnen war, konnten wahrhaftig keinen Eindruck auf einen Mann machen, der alle Stars der Laufstege in Unterwäsche gesehen hatte. Ein bestimmter Stil ließ sich bei Béatrix jedenfalls nicht ausmachen. Sie war vorzeigbar. Das war alles. Und nicht einmal das träfe zu, wenn sie nicht in Paris aufgewachsen wäre. Béatrix Clouet gab sich keinerlei Illusionen über ihr Aussehen hin. Und das empfand sie durchaus als eine ihrer positiven Eigenschaften.
    »Und?«, begann sie das Gespräch mit dem Teller auf
den Knien. »Wieso hast du mich herbeordert? Hat man mich in nicht ordnungsgemäßer Kleidung auf der Straße gesehen?«
    »Bea.« Sein Ton klang liebevoll und jovial. Der ideale Beau-père. Das einzige Problem war, dass dieser Beau-père kaum fünf Jahre älter war als seine Stieftochter. Er spreizte die Finger auf der Tischplatte, und deren bloße Länge sandte eine Welle der Hitze aus, die bis zu Béatrix’ Schoß reichte. »Du weißt ja, ich habe aufgegeben, dir erklären zu wollen, wie man sich kleidet. Aber ich muss sagen, dass dieser bestimmte Braunton, den du da trägst, wirklich nicht ganz …«
    »Phil.«
    Er lächelte über ihre Warnung, die Lippen samtweich und leicht rosig. Auf seiner linken Wange bildete sich ein Grübchen. Béatrix presste die Nägel in ihre Handfläche. Lass mich hier raus , dachte sie, bevor ich noch in meinem Sessel dahinschmelze! Ihre Schwärmerei für ihn war schon mit fünfzehn lästig gewesen, doch jetzt war sie kaum noch auszuhalten.
    Plötzlich legte Philip die Stirn in Falten. »Bea. Hast du etwa abgenommen?«
    Zu ihrem eigenen Missfallen wurden ihre Wangen von einer spontanen Röte überzogen. »Ich bin regelmäßig mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren.«
    »Den ganzen Weg vom Montmartre?! Über die Autobahn?! Bist du wahnsinnig?«
    »Nein.« Sie stellte die Teetasse mit einer gewissen Festigkeit auf den Schreibtisch. »Soweit ich weiß, bin ich dreiundzwanzig Jahre alt, erwachsen und durchaus in der Lage zu entscheiden, wie ich von einem Ort zum anderen gelange.«

    »Aber, Bea, deine Mutter hätte es sicher gern gesehen, dass ich ein Auge auf dich habe.«
    »O bitte!«, entfuhr es ihr spöttisch. »Es war Mutter doch völlig egal, ob mir etwas passiert. Wahrscheinlich hätte sie es sogar gern gesehen.«
    »Wie kannst du nur so etwas Schreckliches behaupten? Das stimmt doch überhaupt nicht.«
    »Ach ja? Weißt du, wie die Verkäuferinnen sie immer genannt haben? ›Die Königin der tausend Stiche‹.« Eigentlich hatten die Mädchen ihre Chefin »die Königin der tausend Stecher« genannt, doch Béatrix war einfach zu höflich, um das auszusprechen. »Sie liebte es, wenn die Leute Fehler machten. Denn dann konnte sie dafür sorgen, dass sie sich klein fühlten.«
    »Deine Mutter war eine Visionärin.«
    Dass er ihre Mutter verteidigte, ließ einen Zorn in ihr aufsteigen, den sie gar nicht erst zu unterdrücken versuchte. Sie sprang von ihrem Sessel auf, setzte sich auf eine Schreibtischkante und zupfte an seinem viel zu schlichten Oberhemd. »Meine Mutter war eine Gelegenheitsvisionärin. Den Rest der Zeit war sie ein rechthaberisches Miststück. Die Menschen haben ihr nicht zugehört, weil sie Recht hatte, sie haben ihr zugehört, weil sie Evangeline Clouet war – eine schöne, reiche Frau, der es aus schierer Willenskraft gelungen war, Grand-mères glitzerndes kleines Imperium noch weiter zu vergrößern. Ich weiß, du willst dir nicht eingestehen, wie egoistisch, versnobt und oberflächlich sie sein konnte. Würdest du es zugeben, würdest du genau wie der Gigolo wirken, für den dich alle gehalten
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