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Haus der Versuchung

Haus der Versuchung

Titel: Haus der Versuchung
Autoren: Marina Anderson
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Zugegeben, diese Zeitschrift war eine große Errungenschaft. Sie hatte sie vor achtzehn Monaten gegründet und dabei gezielt die Klientel der Frauen zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig im Blick gehabt, die Singles waren und in anspruchsvollen Jobs arbeiteten. Ihrem Empfinden nach versuchten die meisten vergleichbaren Blätter, Frauen zu erklären, wie sie Haushalt, Kinder und Arbeit unter einen Hut bringen konnten, aber sie interessierte sich nicht für Kinder und Küche. Ihre Themen waren Mode, Gesundheit und Beziehungen, am Arbeitsplatz und anderswo. Und der Erfolg des Magazins hatte selbst ihre eigenen Erwartungen übertroffen.
    Das war alles sehr erfreulich. Aber obwohl alle Artikel in ihrer Zeitschrift darauf abzielten, Frauen wie ihr zu helfen, fühlte Natalie sich irgendwie verloren. Ihre Neigung zur Ungeduld und die Fähigkeit, ohne Umschweife zum Kern einer Sache zu kommen, waren im Beruf von Vorteil – aber nicht, wenn es darum ging, eine Beziehung aufrechtzuerhalten. Männer wurden rasch auf sie aufmerksam, aber sie fand nur wenig Befriedigung in Kurzzeitbeziehungen, die sexuell aufregend sein mochten, sie jedoch mit einem Gefühl der Leere zurückließen.
    »Tun Sie, was die Herausgeberin rät, nicht das, was sie tut«, murmelte Natalie im Selbstgespräch, als sie ihre Wohnungstür aufschloss. Mit einem flüchtigen Blick auf den Anrufbeantworter registrierte sie, dass niemand angerufen hatte. Es gab ein paar Leute, bei denen sie mit einem Anruf rechnete, darunter auch Philip. Obwohl ihr schwante, dass er sie höflich fallen gelassen hatte. Wirklich angerufen werden wollte sie aber von Jan. Die war ihre beste Freundin, und bis vor einem Monat hatten sie sich mindestens dreimal pro Woche getroffen.
    Weil Jan auch ein anspruchsvolles Berufsleben führte und sich mühte, einen Mann zu finden, den sie als ihrer würdig erachtete, hatten sie beide immer viel zu bereden gehabt. Außerdem hatten sie den gleichen Humor, liebten beide italienisches Essen und guten Wein. Natalie konnte gar nicht verstehen, wieso Jan aufgehört hatte, sie anzurufen. Dabei hatte es keinen Streit gegeben, nicht einmal eine Meinungsverschiedenheit. Bei ihrer letzten Begegnung hatte Jan erzählt, dass sie am darauffolgenden Wochenende wegführe, aber versprochen, sich gleich nach ihrer Rückkehr zu melden. Auf diesen Anruf wartete sie bis heute.
    Zu müde, um irgendetwas zu kochen, holte Natalie nur eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank und goss sich ein großes Glas ein. Dann würfelte sie ein bisschen Fetakäse, warf ein paar schwarze Oliven und Tomaten dazu und setzte sich vor den Fernseher. Nach dem Essen dachte sie darüber nach, Jan anzurufen, verwarf den Plan aber wieder. Sie hätte gar nicht sagen können, warum, aber es widerstrebte ihr, Jan selbst anzurufen. Es musste einen Grund für das Schweigen ihrer Freundin geben, und sie war sich nicht sicher, ob sie den erfahren wollte; jedenfalls nicht, wenn Jan ihre Freundschaft beenden wollte.
    Erst nach zwei weiteren Gläsern Wein entschloss sie sich, die Nummer zu wählen. Es klingelte lange, und sie wollte schon auflegen, als Jan sich meldete.
    »Hey!« Die vertraute Stimme klang atemlos, als sei Jan zum Telefon gerannt.
    »Jan? Ich bin’s, Nat.«
    »Nat.«
    Es gab einen peinlichen Moment der Stille, bevor Natalie hastig sagte: »Ja, vielleicht erinnerst du dich. Ich bin diejenige, an deren Schulter du dich ausheulst, wenn die Männer dich mal wieder enttäuscht haben.«
    »Mein Gott, weißt du, es tut mir so leid, dass ich dich nicht angerufen habe«, plapperte Jan drauflos. »Um die Wahrheit zu sagen, ich war mit dem Casting für ein Historiendrama unglaublich eingespannt. Dadurch ist mir in den letzten paar Wochen kein Augenblick für mich selbst geblieben. Ich wollte dich heute Abend anrufen, aber irgendwie scheine ich mir einen Virus eingefangen zu haben.«
    Natalie runzelte die Stirn. Sie meinte, im Hintergrund Leute zu hören. Leute, die plauderten und lachten, aber das konnte natürlich auch der Fernseher sein. »Wie war denn dein Wochenende neulich, als du weggefahren bist?«, fragte sie fröhlich.
    »Welches Wochenende?«
    »Du weißt schon, du wolltest doch irgendwo hinfahren, nachdem wir uns das letzte Mal getroffen haben. Zur Erholung oder so, hast du erzählt. Wie war’s denn? Hat es dir gutgetan?«
    »Es war ganz okay«, meinte Jan zögernd.
    »Nur ›ganz okay‹? Ich hatte gedacht, es sollte etwas richtig Besonderes sein.«
    »Ach ja, dachtest du
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