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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition)
Autoren: Florian Tietgen
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nicht ins Gefängnis, mich nicht verstecken müssen. Ich wollte nicht meiner Veranlagung Herr werden. Es musste einen anderen Weg geben.
     

8.
     
    »Du meinst, Fritz, die Erpressung, die Entlassung und der Rausschmiss durch die Bergmosers waren Teile eines mystischen Plans?«, frage ich in Darius’ Gedankenpause. »Das wäre mir nicht passiert, wären wir uns nicht begegnet?«
    Er sieht mich an, sieht auf seinen Teller, sieht wieder mich an, beißt sich auf die Lippe, wird ein bisschen rot.
    »Ja«, sagt er, senkt kurz seinen Kopf, als sammle er Kraft, meinem Blick wieder Stand zu halten. »Die Macht des Hauses reicht weit.«
    Obwohl ich immer noch satt bin, keine der Köstlichkeiten auf dem Buffet verdrücken könnte, muss ich aufstehen, mich Darius’ Blicken entziehen, die mal schuldbewusst nach unten, mal flehentlich in meine Richtung gehen. Ich schaue unter die Deckel der Töpfe und Platten, rieche die Petersilienbutter, in der die Kartoffeln geschwenkt wurden, den Rotwein in der Soße des Burgunderbratens, den karamellisierten Zucker über der Crème brulée.
    Ich drehe mich um, bleibe am Buffet stehen. »Ich hätte nicht erreicht, was ich erreicht habe, wenn das Aloisiushaus diese Macht besäße. Ich habe es dir zu verdanken, der Sehnsucht, die in mir wach geblieben ist. Die normale Sehnsucht eines unsterblich Liebenden. Ich habe es meiner Entscheidung zu verdanken, zu kämpfen, statt mich zu verstecken oder in die Ecke stellen zu lassen. Und ich hatte viele Mitstreiter, die sich ebenfalls für den Kampf entschieden haben. Ich habe es sogar ein bisschen Fritz zu verdanken, der mich in den Abgrund gestoßen und damit meine Kraft mobilisiert hat. Aber an einen mystischen Zauber, der mir all das Unglück beschert hat, damit ich mich entscheide, glaube ich nicht. Dann hätte mich ja das Haus, das du fürchtest, stark gemacht. Darin liegt keine Logik.«
    Gegen jede Vernunft lege ich mir ein Stück Burgunderbraten auf einen Teller, bediene mich an den Kartoffeln. Es riecht so gut..
    »Aber du hast doch die Heuschrecken gesehen, den alten Mann, den du Wolpertinger nennst, die Schlangen. Du sitzt in dem Haus, isst von dessen Speisen. Du hast mich vor fünfzig Jahren gesehen, du siehst mich jetzt.«
    »Ja«, sage ich. »Und das ist sehr schön so.« Ich zeige auf meinen Teller. »Möchtest du auch?«
    Darius registriert es nicht. »Du kannst das doch nicht alles für abergläubischen Humbug halten?«
    Zurück am Tisch stelle ich den Braten ab, setze mich, esse ein Stück. Halte ich es für abergläubischen Humbug? Im Moment erscheint mir alles real, das Geschehen von vor fünfzig Jahren hingegen erinnere ich wie einen surrealen Albtraum. Nie vollständig, nie einem logischen Faden folgend. »Es gibt wundersame Dinge, die wir nicht erklären können. Den dahinter liegenden Sinn entdecken wir manchmal erst spät, manchmal nie.«
    Schweigen.
    »Er ist noch genau so unhöflich wie damals.«
    Zusammenzucken bei der meckernden Stimme, bei dem Blick nach rechts, wo plötzlich der Wolpertinger sitzt, so, wie ich ihn in Erinnerung habe, nur älter. Mindestens zweihundert Jahre alt.
    Darius steht auf, geht um den Tisch, stellt sich hinter mich. Wenn er mich so beruhigen wollte, geht das schief. Jetzt werde ich nervös zwischen diesen beiden Menschen aus einer anderen Zeit.
    »Mich hast du nicht gefragt, ob ich etwas möchte. Schon in Oy hast du mir nie etwas angeboten.«
    Darius‘ Hände spüren, die Wärme, die sie ausstrahlen, den Druck auf den Oberarmen. Dem Knacken des Holzes lauschen, das zwischen Frost und aufgeheizter Luft arbeitet.
    Auf den Dielen kriecht eine einsame Heuschrecke, die sich die Flügel reibt. Ein stummes Insekt, das sich vor der Kälte gerettet hat.
    »Er ist meinetwegen hier«, sagt Darius. Das beruhigt mich. Wenigstens ein bisschen.
    »Dein Freund darf mir trotzdem gern etwas zu essen anbieten.«
    Ich gehe zum Buffet, fülle einen Teller mit Fleisch, Kartoffeln, Bohnen und Rosenkohl und Soße, suche nach Besteck, doch das liegt auf dem Tisch vor dem Wolpertinger, als wäre es schon immer da gewesen. Darius steht wie angewurzelt hinter meinem Stuhl. Die Hände auf der Lehne wartet er, bis ich mich wieder gesetzt habe.
    »Wurde aber auch Zeit«, meckert der Wolpertinger. Er isst langsam und mit Bedacht, würdigt uns keines Blickes. Der Braten auf meinem Teller wird kalt. Ich starre diesen seltsamen Kerl an, spüre Darius hinter mir, seine Hände, die auf meiner Schulter zittern.
    »Gafft mich nicht
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