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Haus der Jugend (German Edition)

Haus der Jugend (German Edition)

Titel: Haus der Jugend (German Edition)
Autoren: Florian Tietgen
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erst beim Theater, dann von den Bergmosers, stand bei Darius vor der Tür und mir wurde von einer jungen Mutter erklärt, einen Mann dieses Namens gäbe es dort nicht.
    Eine gute Woche vergessen.
    Ich konnte nicht durch den Ort schleichen wie ein Dieb. Jeder kannte mich dort. Niemandem wollte ich begegnen, zu wenig Erklärungen für meine Anwesenheit. Die fielen auch später schwer genug, je nachdem wie lange ich bliebe.
    Noch konnte ich den Wenigen, die mir begegneten, freundlich zunicken, grüß Gott wünschen und zielstrebig flüchten. Natürlich waren meine Mutter und Theodore schon wach. Theodore musste zur Arbeit. Ich konnte sie ruhig erschrecken. Eine andere Wahl hatte ich nicht.
    »Wos machst ’n hia?« Sie hatte noch ihren Morgenrock an und Lockenwickler im Haar. Die Tür hielt sie nur einen Spaltbreit geöffnet. Ich hörte Theodor im Hintergrund seinen Mantel anziehen. Was sollte ich antworten?
›Euch besuchen‹,
wäre nicht richtig gewesen,
›es ist etwas passiert‹
zu dramatisch.
    »Lässt du mich erstmal rein?«
    »Ja natürlich.«
    Von Freude, mich zu sehen, keine Spur. Sie zog die Tür auf und trat zu Seite, verfolgte meine Schritte. Ich grüßte Theodore, der mir kurz zunickte, als wäre ich jeden Tag hier, an mir vorbei ging und durch die geöffnete Tür verschwand.
    »Möcht’st oan Kaffee, hast oan Hunga?«
    »Gern.« Ich stellte den Rucksack mit meinen Sachen ab, hängte den Dufflecoat an die Garderobe und setzte mich auf die Eckbank an den groben Nussbaumtisch, auf dem die weiße Porzellankanne, Brot und Marmelade noch standen. Meine Mutter brachte eine frische Tasse, einen Teller und ein Messer und setzte sich auf einen Stuhl mir gegenüber. Ihr dunkles Haar roch nach Spray und glänzte über den Lockenwicklern feucht. Sie zog den Morgenmantel enger zu, als schämte sie sich oder fror.
    »Hobn’s di nausg’schmissn?«
    Ich nickte, erzählte von Fritz, von dem Korb, den ich ihm gegeben hatte, von der Reaktion meines Chefs, von den Bergmosers, jedoch nichts von Darius. Von der Wanderung konnte ich nicht erzählen. Sie verschwand immer mehr in die Klarheit eins fiebrigen Traums. Meine Mutter hörte zu, sogar noch, als ich längst zu Ende erzählt hatte. Ich konnte sie nicht ansehen, nicht, während ich erzählte, nicht, während ich wartete. Ich trank meinen lauwarmen Kaffee, machte mir eine Scheibe Brot, aß, meine Mutter hörte zu. Ich betrachtete das Tapetenmuster, barock, in Violett-, Blau- und Brauntönen, wie salinoförmig mit eckigen Blüten, die keiner natürlichen Pflanze zuzuordnen waren, sie hörte zu. Ich zählte die Blätter des Gummibaums – es waren sechsundfünfzig – und der Tradeskantie Dreimasterblume, meine Mutter hörte zu.
    Sie hörte zu, bis ich bis einhunderteinunddreißig gezählt hatte.
    »Wos willst jetzt machn?«
    Schulterzucken. ›Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht hier.‹
    »Bist du denn oana von dena, oda hobn’s di nua verleignet?«
    Schulterzucken. »Beides.« Ich versuchte, sie anzuschauen, schaffte es nur den kurzen Augenblick lang, in dem sie ihr Gesicht zu einem Fragezeichen formte. »Ich bin einer von denen, aber sie haben mich verleugnet.«
    Ab diesem Moment hörte sie nicht mehr zu. Sie stand auf, ging zur Garderobe und legte mir den Dufflecoat über die Lehne des Stuhls, auf dem sie gerade gesessen hatte. »I hob scho imma gewusst, mit dia stimmt wos ned. A Mutta spürt so etwos. Ja, wenns du oana von dena bist, wos willst du dann hia? Dass de Nachbarn si des Maul zerreißn? Mein Sohn a Weibischa.« Mit ihrem Blick versuchte sie, mich von der Bank zu stoßen. Die Geste war unmissverständlich.
    »Mama …« Ich hätte doch spüren müssen, wie zwecklos es wäre. Wenn sie es schon immer gewusst hatte, warum konnte sie nicht ertragen, wenn ich es aussprach? Als bräuchte es erst Gewissheit, damit Nachbarn sich das Maul zerrissen.
    »Treibe Spoat, geh schwimma, tu’ wos dagegn.« Sie stand hinter dem Stuhl mit meinem Mantel, hatte die Arme wie ein Mann in die Hüften gestemmt und sich vorgebeugt. »Mein Sohn bist jedenfois ned mehr.« Es war absurd, beinahe komisch, wenn ich nicht so geschockt gewesen wäre. Meine Mutter sagte sich von mir los, weil die Nachbarn tratschen könnten. Eine Frau, die ihrem Mann verlassen hat und mit einem Amerikaner verheiratet war. Als hätte sich nicht schon der ganze kleine Ort genug das Maul über sie zerrissen.
    »Du kannst«, stammelte ich, »mich doch nicht einfach rausschmeißen?« Egal war die Anzahl der
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