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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz
Autoren: John Updike
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erst den Wagen holen soll und dann den Jungen. Oder soll er erst den Jungen holen? Eigentlich verlangt es ihn mehr nach dem Jungen. Einfacher wäre es allerdings, wenn er erst zu Mrs. Springer hinüberginge, sie wohnt näher. Aber angenommen, sie steht am Fenster und lauert darauf, daß er kommt, damit sie sich auf ihn stürzen kann und ihm sagen, wie müde Janice ausgesehen hat? Wer würde nicht müde aussehen, wenn er mit dir herumgelaufen ist auf der Suche nach etwas Kaufbarem, du elende Pfennigfuchserin. Du fette Schreckschrau be. Du alte Hexe. Wenn er den Jungen bei sich hätte, würde das vielleicht nicht passieren. Rabbit findet den Gedanken hübsch, den Weg von der Mutter nach Haus mit seinem Sohn zu machen. Nelson ist zweieinhalb, aber er geht wie ein Kavallerist, mit abgehackten, spröden Schritten. Sie würden unter den Bäumen dahingehen, im letzten Schein des Tages, und wie durch Zauber würde plötzlich Papis Wagen am Kantstein stehen. Aber so herum würde es viel mehr Zeit kosten, seine Mutter läßt es sich nicht nehmen, ihm hinterhältig und um drei Ecken herum verstehen zu geben, wie unfähig Janice ist. Es macht ihn verrückt, daß seine Mutter immer wieder davon anfängt; vielleicht tut sie es ja nur, um ihn zu ärgern, aber er kann es nicht auf die leichte Schulter nehmen, dazu hat sie zu viel Macht – wenigstens über ihn. Es wäre besser, wenn er erst zum Wagen geht und dann den Jungen abholt. Aber er will es nicht in dieser Reihenfolge tun. Er will es einfach nicht. Er verstrickt sich immer tiefer in dies Problem, und ihm wird ganz elend, weil er den Knoten nicht lösen kann.
    «Schätzchen, bring doch auch gleich ein paar Zigaretten mit, ja?» ruft Janice aus der Küche, mit ganz normaler Stimme, was besagen soll, daß alles vergeben, alles in Ordnung ist.
    Rabbit steht wie erfroren da, starrt auf seinen fahlen gelben Schatten an der weißen Tür, die in den Flur führt, und denkt, daß er in der Falle steckt. Das scheint jetzt sicher. Voller Ekel geht er hinaus.
    Es wird dunkel und kühl draußen. Die norwegischen Ahornbäume verströmen den Duft ihrer jungen klebrigen Knospen, und in den breiten Wohnzimmerfenstern längs der Wilbur Street leuchten hinter den silbrigen Schirmen der Fernsehapparate die Lampen in den Kü chen, wie kleine Feuer tief hinten in Höhlen. Er geht hügelabwärts. Der Tag sammelt sich ein. Hin und wieder berührt Rabbit die rauhe Borke eines Baumes oder den trockenen Zweig einer Hecke, um sich den leisen Bescheid der Materie zu holen. An der Ecke, wo die Wilbur Street auf die Potter Avenue stößt, steht ein Briefkasten schief im Zwielicht auf seinem Betonsockel. Ein zweiarmiges Straßenschild, ein mit Schrägbalken abgestützter Telegraphenmast, der seine Isolatoren dem Himmel entgegenhält, ein Hydrant wie eine goldene Büchse: ein Märchenwald alles zusammen. Rabbit hat es geliebt, den Telegraphenmast zu erklettern. Von den Schultern eines Freundes aus hochzuklim men, bis man die Eisensprossen erreichte, und dann weiterzuklettern, bis dorthin, wo man die Drähte singen hören konnte. Schreckvolles, regloses Gewisper. Es führte einen immer in Versuchung, sich fallen zu lassen, die harten Sprossen loszulassen, man wollte spüren, wie sich die Leere einem auf den Rücken legte, wie sie einem nach den Füßen griff und einem die Wirbelsäule hochkroch, während man fiel. Er erinnerte sich daran, wie ihm die Hände brannten, wenn er oben war, wie sie voll von Splittern staken, von den Klimmzügen, die er machen mußte, um an die Sprossen zu kommen. Um den Drähten zuzuhören – als könnte er belauschen, was die Menschen redeten, was es auf sich hatte mit der ganzen geheimnisvollen Welt der Erwachsenen. Und die Isolatoren waren wie riesige blaue Eier in einem windigen Nest.
    Rabbit geht die Potter Avenue entlang, und die Drähte in ihrer stillen Höhe durchschneiden die Kronen der atmenden Ahornbäume. An der nächsten Kreuzung, wo das Wasser von der Eisfabrik herunterkam, sich in einem Abzugskanal sammelte und auf der ändern Straßenseite wieder hervorkam, überquert Rabbit den Fahrdamm und geht dann an der Rinne entlang, in der das Wasser sickerte und deren seichte Seiten es mit grünem Schlick bestrich, der sich sacht bewegte und nur darauf wartete, daß man wagte, ihn zu betreten: dann glitt er einem nämlich unter den Füßen weg und ließ einen jämmerlich ausrutschen. Rabbit kann sich erinnern, daß er einmal ausgerutscht ist, aber er weiß nicht mehr, warum
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