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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman
Autoren: Oliver Uschmann
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    »CD-Rohlinge?«
    »Ja, die liegen nur da und wollen mit irgendwas voll gebrannt werden, was du eh nicht brauchst. Also weg damit.«
    Ich nicke skeptisch.
    »Ich modifiziere auch meinen PC«, erklärt Hartmut. »Nur noch Mails von meinen Kunden. Und sollte ich dieser Tage fernsehen wollen, halt mich davon ab!«
    »Meinst du nicht, dass du übertreibst?«
    »Übertreibst!?«, ruft Hartmut empört. »Übertreiben? Was tun wir denn den ganzen Tag, wenn wir nicht aufpassen? Was rate ich denn den Leuten, wenn sie mir per Mail schreiben, dass sie sich allgemein scheiße fühlen? Wir lassen uns ablenken! Wir lassen uns immer nur ablenken! Kaum dass wir mal eine Sekunde nicht aufpassen, sind wir schon wieder abgelenkt worden, und dann fahren wir den ganzen Tag auf der falschen Spur und wundern uns, dass wir so matt werden. Und warum? Weil wir glauben, irgendwann etwas zu finden, das uns final befriedigen kann. Erlösung. Und das fängt im Kleinsten an. Denk an die Plüschhandschellen!«
    Aus Hartmuts Zimmer ertönt eine Computerfanfare. »Ah, die Formatierung ist fertig.«
    »Formatierung?«
    »Nur noch das Nötigste!«, sagt Hartmut. »Nur noch das Nötigste.«
    Nachdem Hartmut seine Klamotten samt der Kiste in den Keller verfrachtet hat, kommt sein Zimmer dran. Nach zwei Tagen sieht es dort aus wie im Wartezimmer einer Aloe-Vera-Praxis. Nur noch freie Flächen, ein perfekt gesaugter Boden, wenige Pflanzen, keinerlei Firlefanz. Hartmut hat alles in die Schränke verfrachtet oder gleich in den Keller getragen. Er meditiert jetzt wieder. Er macht sich Vollwertkost in der Küche, Teller voller Getreide und Obst. Man hört ihn atmen. Er steht um fünf Uhr morgens auf und geht weit vor zehn ins Bett. Er duscht kalt, und da er es mittlerweile morgens noch vor mir tut, erschrecke ich mich jedes Mal zu Tode, wenn meine müden Füße die Eisfläche der Duschwanne berühren. Er bewegt sich langsamer und hat nach einiger Zeit diesen gleichmütigen Blick aufgesetzt. Ich fange an, ihn zu bewundern, auch wenn ich mir wieder Sorgen mache. Auch ich esse häufig Vollwertkost und gehe hin und wieder zum Yoga. Auch ich dusche manchmal kalt, wenn das Anti-Hangover-Duschgel alle ist und ich wach werden muss. Aber eben nur manchmal. Hartmut kennt kein Manchmal mehr. Und ich ahne, dass die einfachen Tage sich bald dem Ende zuneigen werden.
    Nach wenigen Wochen, der Frühling hat gerade mal zaghaft seine Augen geöffnet und ich komme am Mittag von der Arbeit zurück, finde ich Hartmut gekrümmt am Küchentisch sitzen und mich mit glasigen Augen empfangen.
    »Ich hab’s nicht geschafft!«, sagt er und jammert über einem Teller Fertigmüsli aus der Tüte, während die Kaffeemaschine läuft, seine nackten Beine aus der Unterhose gucken und Yannick vom Küchenschrank auf ihn herabsieht, als wolle er das Köpfchen schütteln. Ich sehe ihn fragend an. »Ich konnte einfach nicht aufstehen. Ich habe nicht meditiert. Ich esse Fertigmüsli. Ich mache Kaffee!« Er steigert seine Aufzählung klagend und stützt dann wieder den Kopf in die Hände. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und sage: »Deine Kiste steht immerhin noch unten im Keller.« Er sieht mich an, als würde ich gar nichts verstehen, und geht in sein Zimmer.
    Am nächsten Nachmittag – ich hangele mich gerade durch den Urwald von Flashback – schleicht er ins Wohnzimmer, setzt sich auf die Couch, lässt seinen Blick ungebührlich lange von dem Geschehen auf dem Bildschirm fesseln, wartet, bis ich den Level beendet habe, und sagt: »Das mit der Kiste gestern hättest du nicht sagen sollen.«
    Ich brauche einen Moment, um zu verstehen.
    »Ich hatte sie schon fast vergessen. Du hättest mich nicht erinnern dürfen.«
    Ich schlucke, stehe auf, lasse das Häufchen Elend auf der Couch sitzen und gehe in sein Zimmer. Die Kiste steht dort geöffnet in der Mitte. Videohüllen, Pornohefte und Krimskrams liegen überall verteilt. Der PC surrt. Das Programm brennt irgendwelche Dateien aus dem Netz. Es riecht nach Schweiß, Fisch und Elektronik. Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und sehe ihn an: »Wie lange hast du …?«, frage ich.
    »Seit gestern Abend«, schluchzt Hartmut. »Seit du im Bett warst.«
    Ich schalte meine tröstende Stimme ein. »Ist doch nicht schlimm«, sage ich. »Wir sind doch alle keine Übermenschen.«
    »Es ist wohl schlimm!«, schreit er jetzt, und Yannick versteckt sich erschrocken hinter der Couch. Hartmut reißt sich von der Couch hoch und zeigt funkelnd auf den Fernseher:
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