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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman
Autoren: Oliver Uschmann
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zu Gemüte führen, macht Patrick gerade Männchen, als die Kleine mit den Glöckchen in den Schuhen ihm einen Flips hinhält und ihn damit neckt, ihm das Maisgebäck immer wieder wie einem Hündchen vor der Nase wegzuziehen. Das Mädchen mit den Rastas erzählt Kai derweil in ausführlichen Skizzen von ihrem frisch in den Wind geschossenen Exfreund und macht dabei diesen niedlichen, grimmigen Blick mit gerümpfter Nase, der Kais Ohren immer roter und seine Gedanken hinter den Augäpfeln rasen lässt. Die Süße mit dem Fledderpulli und den BH-Trägerchen ist derweil unmerklich immer ein Stück weiter in meine Richtung gerutscht, wenn Ole ihr bzw. ihren Trägerchenschultern mittels scheinbar zufällig eingestielter Bewegungsabläufe und extra dafür ausgedachter Spontansketche in Theaterlänge näher zu kommen suchte. Die Mädchen haben zwischenzeitlich offenbart, dass sie auch zusammen in einer WG wohnen. Ich weiß, wie die Jungs sich gerade fühlen. Ich weiß, dass sie für die Mädchen nach draußen gehen und mit ihren Zungen den Dreck aus dem Profil von amerikanischen Hummer-Jeeps und Toyota Pajeras mit AllradAntrieb schlecken würden, wenn auch nur der Hauch einer Chance bestünde, dass diese glöckchenbehängten Trödelmädchen sie heute Nacht mit zu sich nach Hause nähmen und sie sich nicht auf ihre Secondhand verlassen müssten.
    Gegen zwei Uhr stehen die Mädchen auf, seufzen ein wenig und schütteln sich die Glieder. Es läuft Radiohead. Mein Zimmer riecht nach Muff, Dope und diesem dezenten Duschgelduft, den die Mädchen unter ihren Trödelsachen haben. »Wo wollt ihr hin?«, fragt Ole, versucht dabei aufzustehen und wird wie von einem unsichtbaren Gewicht zurückgezogen. Er guckt verdattert. Blut scheint ihm in den Kopf zu schießen. Es beginnt zu wirken. »Wir gehen nur eben mal ins Bad, uns ein bisschen frisch machen. Dann kommen wir wieder. Vielleicht haben wir ja noch bei uns daheim einen Tee für euch, wenn ihr brav seid«, sagt das Glöckchen, und ich kann die Beschleunigung des Pulsschlages im Raum förmlich hören. Als die Mädchen den Raum verlassen haben, stehe ich beiläufig auf, verschütte ein Glas Wein und gehe in die Küche, um einen Eimer mit ganz klein wenig Putzwasser zu holen. Auf dem Rückweg zwinkere ich Hartmut zu, und er kommt mit mir in mein Zimmer. Just als wir eintreten, würgt Patrick bereits und reißt mir den Eimer aus der Hand, den ich ihm hinhalte. Kurz darauf übergeben sich auch Ole und Kai in das runde Plastik. Es geht kaum was daneben. Die Studenten kleben am Rand des Eimers wie Betende um einen Gral. Von draußen spähen die Riesen und Winzlinge vom Playstation-Turnier in den Raum, auch Martin und Uwe stehen interessiert im Hintergrund. Dann öffnen sie eine kleine Schneise, und die drei Mädchen stolzieren hindurch, entledigt aller Trödelmarktklamotten, Glöckchen und Rasta-Perücken. Sie tragen Anzüge, dezente Freizeitkleidung und Blazer. »So, da sind wir wieder«, sagt die Frau, die endlich wieder ihre echten Haare zeigt, so, wie ich sie kenne. »Wir haben uns mal ein wenig der Verkleidung entledigt. Wenn ich vorstellen darf, das ist Annika, sie studiert Jura und steht auf Eros Ramazzotti. Zu meiner Linken seht ihr Sarah, Wirtschaftswissenschaften mit Diplom, soeben als Young Professional bei Bertelsmann eingestiegen. Und mein Name ist Claudia, Geigerin. Wenn ihr übrigens Lust habt, morgen spielen wir Händel und Vivaldi im Audimax und nächste Woche Bach und Mozart im Dom zu Köln. Eine WG haben wir übrigens nicht, sondern ein Haus, aber wir sind eh kaum daheim. Dennoch: »Wenn ihr immer noch vorbeikommen und uns näher kennen lernen wollt … oder ist das jetzt nicht mehr so gut?«
    Kai, Ole und Patrick blicken von ihrem Eimer auf, die Hände am Rand festgeklammert wie an der letzten Reling, die sie noch hält. Kai würgt noch mal nach und ächzt einen gelben Klumpen in das Wasser.
    »Es geht ihnen doch nicht gut«, sagt Hartmut jetzt, »sie haben doch gebrochen!«
    »Wahrscheinlich ironisch«, sagt Sarah und faltet ihr oranges Ahoi-Brause-Shirt zusammen.
    Wir lachen.
    Wenig später verschwinden alle Gäste.
    Die Mexikaner, die Nerds, die Progrocker, die Frauen. Sie gehen ohne die Jungs. Als die stillschweigend und schwankend ihre Rucksäcke nehmen und sich die letzten Bröckchen von den Lippen wischen, öffne ich die Tür und setze ganz langsam meine UPS-Mütze auf.
    Sie gehen ohne ein Wort.
    Hartmut und ich machen Putzwasser, räumen die Wohnung auf und
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