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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman
Autoren: Oliver Uschmann
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Martin, ich und die ganze weitere Horde in halb gebückter Haltung wie vom Stier getrieben im Kreis rennen und zwischendurch beim »Refrain« die Arme in die Luft reißen, um mit dem Finger in die Luft zeigend mitzubrüllen: »All my life people tell what to say, this is my life live it my own way!« Das Stück dauert 45 Sekunden. Drei Flaschen, ein Zahn und eine Topfpflanze gehen zu Bruch. Dann macht es »klick«, die Kassette ist zu Ende, und die Mexikaner gehen wieder würfeln. Martin und ich bleiben noch einen Moment hechelnd stehen und sehen uns mit einem verbündeten, grimmigen Blick an, als wollten wir gemeinsam gegen die Welt demonstrieren. »Don’t the fuck tell me what to say!«, sagt Martin jetzt noch einmal und rotzt dabei auf den Boden. »Yeah!«, sage ich, und dann schlagen wir ein. Die Tattoos auf seinem Bizeps glänzen. Das war maximal unironisch. Ich gehe wieder zu den Studenten, nehme sie von der Wand und gehe mit ihnen ins Wohnzimmer rüber.
    Im Wohnzimmer haben sich vier Jungs samt Hartmut zum Playstation-Spielen versammelt. Die Wand mit den Postkarten hinter der Couch ist mit alten Plakaten überklebt, deren weiße Rückseiten sie zum Erstellen von Turnierlisten benutzt haben. Ein kompliziertes Punktesystem ist dort eingezeichnet, und die Titel verschiedener Spiele prangen in den Spalten. Fußball, Kampfsport, Snowboard, Geschicklichkeit. Der Raum ist bloß dämmrig beleuchtet, und die Spieler tragen merkwürdige T-Shirts von Akte X oder Star Trek . Zwei von ihnen sind so klein und schmächtig, dass sie kaum über den Couchtisch gucken können, die anderen beiden sind stämmig und groß und ihre Ziegenbärte wirken wie kleine Aufsätze. Yannick sitzt begeistert auf dem Wohnzimmertisch und verfolgt die bunten Bilder auf dem Fernsehschirm. Hartmut hat die Chips und Flips in große, gläserne Schalen geschüttet, wie es sonst nur Großtanten tun, und als wir den Raum betreten, macht er »pssst«, damit der gerade Spielende nicht in seiner Konzentration gestört wird. Der Wagen surrt präzise und elegant durch die engsten Kurven, und die Studenten in meinem Schlepptau scheinen ein wenig aufzuatmen. Ein Zimmer voller Videospiel-Nerds scheint ihnen angenehmer zu sein als diese Irren mit ihrem Hardcore-Ghetto und die Mucker auf Hartmuts Bett, denen beim Trommeln der Sud aus den Ohren fällt.
    »2:24 Minuten!«, sagt der Spielende jetzt, als er das Ziel erreicht hat, und einer der Riesen rechnet die Zeit auf einer kleinen Tabelle in Punkte um. »25 Punkte, trag mal ein!«, sagt er, und der andere Winzling steigt auf die Couchlehne und malt das Ergebnis in feinen Strichen aufs Plakat.
    »Können wir auch mal?«, fragt Patrick jetzt, der ja vorhin schon heimlich das Spieleregal beobachtet hatte. »Also ich mach das schon lange nicht mehr«, sagt Kai, und Ole zündet sich erst mal eine neue Selbstgedrehte an. »Nein, entschuldigt, aber das ist im Moment unmöglich. Wenn wir den Turnierablauf jetzt unterbrechen, haben wir eine unterschiedliche zeitliche Verteilung der Pausen. Das ist Wettbewerbsverzerrung«, sagt Hartmut, und Patrick sieht ihn skeptisch an. Dann lacht er: »Jaja, Hartmut, gib schon her!« Kaum, dass er nach dem Joypad greift, stößt der Winzling die Hand dazwischen und sieht ihn streng an: »Das war jetzt kein Scherz von Hartmut, wir machen hier ein ernsthaftes Turnier!« Er hat große Augen und fledermausartige Ohren und sieht Patrick von unten herauf an. »Leute, es ist Samstagabend, ihr spielt ein wenig, was ist denn hier los?«
    »Das ist ein Ligaspiel, mein Freund«, sagt jetzt der Riese auf der Couch, und sein kleiner Ziegenbart wackelt dabei. »Wir haben diese Pläne da an der Wand nicht gemalt, damit ein Amateur uns dabei unterbricht. Wenn wir fertig sind, könnt ihr gerne auf den Platz und selber spielen.«
    »Hartmut???«, japst Patrick jetzt, und Ole dreht sich um und setzt sich mit seiner Zigarette kopfschüttelnd in die Küche. »Ach komm, das meinen die doch bloß ironisch«, knufft Kai ihm jetzt an die Schulter, aber Hartmut schüttelt den Kopf. »Durchaus nicht«, sagt er. »Holt euch bitte noch ein Bier und wartet.« Wir haben übrigens teures Bier gekauft, Krombacher und Hasseröder, nicht so ironisches Fuselbier für fünf Euro den Kasten, was diese Studenten sonst wahrscheinlich trinken. Patrick kann nichts mehr sagen und fällt mir fast rückwärts in die Arme. Ich setze ihn erst mal in die Küche. Dann beuge ich mich zu Hartmut und deute auf mein Zimmer: »Sind die
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