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Hartmut und ich: Roman

Hartmut und ich: Roman

Titel: Hartmut und ich: Roman
Autoren: Oliver Uschmann
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hören dabei Saga und Bach.
    Wir pfeifen mit.
    Ganz im Ernst.

PLÜSCHHANDSCHELLEN
    »Siehst du, damit fängt es an«, sagt Hartmut und deutet auf die Auslagen und Ständer des bunten Allerlei-Ladens, dessen Licht orangeblaugelb in die belebte Fußgängerzone quillt. Erst im zweiten Moment sehe ich, was er meint. Hartmut geht zu einem Ständer, an dem Handschellen mit Plüschumhüllung hängen. Schwarz, weiß, rosa und getigert ist ihr Fell, unter dem der leichte Stahl in den Abend blitzt. »Erst kaufen sich die jungen Pärchen dieses süße Spielzeug hier. Sieht sexy aus, fühlt sich gut an und lässt sich auch ohne Schlüssel öffnen. Mit den Häkchen hier, siehst du?« Ich sehe und bemerke, dass zwei Mädchen, die interessiert ihre Nasen in einen Ständer mit Halstüchern gesteckt haben, Hartmuts Vortrag zu lauschen beginnen. »Irgendwann reichen die Fesselspielchen mit den Plüschhandschellen nicht mehr. Sie kaufen richtige, ohne Plüsch. Sie fangen an, Bondage zu machen. Knebel kommen ins Haus.« Die Mädchen kichern leise in dem Wald aus Halstüchern, und ich werde ein wenig rot und frage mich, ob Hartmut vorhin im Supermarkt nicht doch lieber ein Bier in der Plastikpulle statt eines Fläschchens Prosecco hätte trinken sollen. Hartmut macht weiter: »Sie werden kreativ, erfinden Rollenspiele, sie gibbeln noch dabei und benehmen sich natürlich sehr liebevoll, aber so langsam glauben sie, dass sie tatsächlich SM mögen, und dann geht das Ganze erst richtig los.« Hartmut tippt noch einmal mit der Fingerspitze an eine getigerte Plüschhandschelle und wendet sich zum Gehen. Ich folge ihm wie ein Magnet, während er die Hand hebt, was bedeutet, dass er seinen Vortrag fortsetzen wird. Ich schaue mich kurz um. Die Mädchen bleiben bei den Tüchern. »Irgendwann reicht das übliche Spielzeug nicht mehr, und man beginnt, seine Grenzen zu erweitern. Strammeres Fesseln mit richtigem Geschirr. Fußketten. Und einfache Handschellen werden dann schon längst als langweilig empfunden. Man besorgt sich besonders starke oder diese ohne Kette oder gleich moderne Pranger für Hals und Füße, alles aus Stahl. Und weißt du, warum?«
    Ich schüttele den Kopf, ziehe ein Bier aus dem Rucksack, reiche ihm eines, das er beim Laufen beiläufig öffnet, und würde ihn viel lieber fragen, warum er sich mit alldem so gut auskennt, aber da geht es auch schon weiter: »Weil man auf diesem Weg nie ans Ziel kommen kann.« Das ist einer dieser Sätze, bei denen Hartmut stehen bleibt, einem genau in die Augen sieht, einen Moment schweigt und dann eine Art Untertitel nachsetzt. Und in der Tat. Er schweigt, sieht mich an, wartet und sagt dann mit dramatisch-rhythmischer Betonung: »I can’t get no satisfaction! Das ist das Problem unserer Zeit, mein Freund!« Wir passieren den Burger King, aus dem Teenager in übergroßen Klamotten herauspurzeln. Ein kleiner Typ mit Baseballmütze verliert seinen Doppelwhopper, als er sich im Kabel seines Discmans verheddert. Ein Türke mit fettigem Haar prallt vor einen Rentner, den Blick auf sein Handydisplay fixiert. »SM ist da nur ein Beispiel. Hier, mit Drogen geht es weiter!«, sagt Hartmut und hält seine Bierdose hoch. »Wann hast du jemals genug davon? Ich meine jetzt nicht an einem Tag oder Abend, sondern generell? Oder Musik. Wird immer lauter, immer härter, immer krasser. Warten wir nicht ständig auf etwas? Auf den Moment, wo wir sagen können: Ja, jetzt bin ich wirklich zufrieden? Wie vielen Frauen rennen wir hinterher, und kaum sind ein paar Wochen vorbei, denken wir doch wieder nur an Sex mit einer anderen. ›Einem anderen Typ.‹ Und die Frauen doch auch. Haben sie einmal einen Hartmut gehabt, wollen sie danach das Gegenteil von einem Hartmut. Oder? Ist es nicht so?« Ich halte Hartmut an der Jacke fest, der beinahe weiterredend über die rote Ampel und in den Verkehr auf den Stadtring gestolpert wäre. Ich verkleckere mein Bier. Hartmut vereint Erschrecken, Verstehen und Bedanken in einer kurzen Geste und spricht dann weiter: »Hier, denk mal an meine Filmsucht damals. Oder an Leute, die alles im Casino verzocken. Und warum? Weil du nicht aufhörst, wenn du einmal gewonnen hast. Du willst mehr. Du hörst nicht auf. Du nicht, ich nicht.« Die Ampel wird grün, doch plötzlich dreht sich Hartmut um und geht auf dieser Seite des Bürgersteigs weiter Richtung Bahnhof, als wäre es niemals anders geplant gewesen und wir hätten nur so an der Ampel gestanden. Ich hole die zwei Schritte
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