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Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising

Titel: Hannibal Lector 04 - Hannibal Rising
Autoren: Thomas Harris
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eine große Puppe, eine Panzerfaust in den Armen. Hannibal nahm die letzte Panzerfaust aus dem Waffenschrank und band sie so im Maschinenraum fest, dass der dicke panzerbrechende Sprengsatz nur einen halben Meter vom Treibstofftank entfernt war. Er holte die Zugleine des Boots, an deren einem Ende ein Enterhaken befestigt war, und band sie am Abzug der Panzerfaust fest. Dann stieg er, die Leine hinter sich herziehend, mit dem Haken an Deck. Das Boot trieb langsam dahin und stieß immer wieder leicht gegen den gemauerten Rand des Kanals. Auf einer Brücke flussabwärts konnte er mehrere Taschenlampen sehen, die sich zuckend durch das Dunkel tasteten. Er hörte aufgeregte Rufe, und ein Hund bellte unaufhörlich.
    Hannibal warf den Enterhaken ins Wasser, und die Leine schlängelte sich langsam über die Seite des Boots. Er sprang an Land und entfernte sich über die Felder. Er blickte sich nicht um. Nach vierhundert Metern kam die Explosion. Hannibal spürte die Druckwelle in seinem Rücken, und sie wälzte sich zusammen mit dem Lärm über ihn hinweg. Irgendwo hinter ihm landete ein Stück Metall auf dem Feld. Vom Boot auf dem Kanal schossen jähe Stichflammen hoch. Eine Funkensäule, vom Sog des Feuers zu stiebenden Spiralen verdreht, stieg in den Himmel hinauf. Als die Sprengladungen der anderen Panzerfäuste zündeten, wirbelten neue Explosionen brennende Holzbalken durch die Luft.
    Inzwischen einen Kilometer vom Kanal entfernt, sah Hannibal an der Schleuse die zuckenden Lichter mehrerer Polizeiautos. Er kehrte nicht um. Er wanderte über die Felder, und sie fanden ihn bei Tageslicht.

57

    Um die nach Osten gelegenen Fenster des Pariser Polizeipräsidiums drängten sich in den warmen Monaten zur Frühstückszeit junge Polizisten, die hofften, die Schauspielerin Simone Signoret an der nahen Place Dauphin auf ihrem Balkon beim Kaffeetrinken beobachten zu können.
    Inspektor Popil, der an seinem Schreibtisch arbeitete, schaute nicht einmal von seinen Akten auf, als es hieß, die Balkontür der Schauspielerin öffne sich, und er ließ sich auch nicht von dem enttäuschten Aufstöhnen stören, das durch die Reihen der jungen Kollegen ging, als nur die Haushälterin nach draußen kam, um die Balkonblumen zu gießen.
    Sein Fenster stand offen, und er konnte ganz schwach den Lärm der kommunistischen Demonstration auf dem Quai des Orfèvres und dem Pont Neuf hören. Die Demonstranten waren vorwiegend Studenten, die lauthals »Freiheit für Hannibal!« skandierten. Sie trugen Transparente mit der Aufschrift »Tod dem Faschismus!« und verlangten die sofortige Freilassung Hannibal Lecters, der zu einer Art Cause célèbre avanciert war. Zahlreiche Leserbriefe in L’Humanité und Le Canard Enchaîné setzten sich für ihn ein, und Le Canard veröffentlichte ein Foto des brennenden Wracks der Christabel mit der Unterschrift ›Gekochte Kannibalen‹.
    Außerdem erschien in L ’Humanité unter Hannibals Namen ein aus dem Gefängnis geschmuggelter Artikel über bewegende Kindheitserinnerungen und die Vorteile der Kollektivierung, der seine kommunistischen Unterstützer noch mehr für ihn einnahm. Genauso bereitwillig hätte Hannibal auch für irgendwelche Publikationen am äußersten rechten Rand geschrieben, aber die Rechten waren aus der Mode gekommen und konnten nicht für ihn demonstrieren.
    Inspektor Popil hatte eine Kurzmitteilung des Staatsanwalts vor sich liegen, in der dieser anfragte, was Hannibal Lecter definitiv nachgewiesen werden könne. Angesichts des nach dem Krieg noch immer vorherrschenden Geistes der Vergeltung, l’épuration sauvage , musste eine Verurteilung wegen der Ermordung von Faschisten und Kriegsverbrechern bombenfest untermauert sein und wäre, selbst wenn gerechtfertigt, in jedem Fall politisch unpopulär.
    Der Mord an dem Metzger Paul Momund liege Jahre zurück, und das Beweismaterial beschränke sich auf den Geruch von Nelkenöl, führte der Ankläger an. Würde das ausreichen, um die Japanerin, diese Murasaki, festzunehmen? Steckte sie mit Hannibal Lecter womöglich unter einer Decke?, fragte der Staatsanwalt. Inspektor Popil riet von einer Festsetzung Lady Murasakis ab.
    Die genauen Todesumstände des Restaurantbesitzers Kolnas – oder des ›kryptofaschistischen Restaurantbesitzers und Schwarzmarkthändlers Kolnas‹, wie er in der Presse bezeichnet wurde – konnten nicht ermittelt werden. In seiner Schädeldecke befand sich ein Loch unbekannten Ursprungs, und Zunge und Gaumen waren von
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