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Hannas Wahrheit (German Edition)

Hannas Wahrheit (German Edition)

Titel: Hannas Wahrheit (German Edition)
Autoren: Kerstin Rachfahl
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zurück ins Haus und holte die dicke Patchworkdecke vom Sofa und schnappte sich seine Jacke von der Garderobe. Obwohl sie ihn hören musste, drehte sie sich nicht nach ihm um. Ihr Kinn ruhte auf ihren Knien, ihre Arme hatte sie um die Beine geschlungen. Ihr Blick war auf den Horizont im Osten gerichtet. Er setzte sich hinter sie, wickelte die Decke um sie beide. Sie rückte an ihn heran, schmiegte sich an seinen Körper. Die Kälte ihrer Haut ließ ihn zusammenzucken. Ihr Kopf lehnte sich an ihn, er legte sein Kinn auf ihre Haare. Ihre Augen blieben weiterhin auf den Horizont gerichtet. Er schlang seine Arme um ihre Taille, zog sie noch ein Stück dichter an sich heran.
    Allmählich stieg die Temperatur in ihrem Körper an. Leise strich der Wind durch die Blätter des Baumes. Ein Eichhörnchen flitzte den Stamm hinunter und huschte durch das Gras, die Nase suchend auf den Boden gerichtet. Das Farbenspiel des Lichts begann, als die Sonne hinter der Kuppe eines Felsens emporstieg. Felsen, die den Fjord umrahmten, nahmen an den Rändern die Farbe von flüssigem Feuer an. Er atmete tief ein, nahm das Naturschauspiel mit allen Sinnen wahr. Es gab nichts, was vergleichbar war mit frischer Luft, dem Duft von Harz, Gras und Wiesenblumen, so wie er hier seine Nase umschmeichelte. So rau die Landschaft war, so zart tauchte die Sonne sie in bunte Farben. In diesem Augenblick war er völlig eins mit sich und der Welt. Es gab keine Sorgen, keine Gedanken, keine Zukunft, keine Vergangenheit, nur das Hier und Jetzt.
    Die Sonne stieg weiter den Himmel empor, sandte ihre Strahlen auf ihre Gesichter, wärmte die Haut. In ihm bildete sich ein Gefühl, das er am liebsten laut hinausgeschrien hätte, wäre er der Mensch gewesen, der seiner Freude so Ausdruck geben würde. Hannas Hand streichelte seine. Sie drehte leicht den Kopf, küsste seinen Hals, ohne die Augen abzuwenden von der Schönheit, die sich ihnen so bereitwillig darbot. Er genoss die gemeinsame Stille mit ihr, die Verbundenheit zwischen ihnen. Das Gefühl, die Welt für einen Augenblick aus ihren Augen zu betrachten. Er war offen für die Schönheit, die ihn umgab.
    Vorsichtig streckte Hanna erst das eine Bein aus, dann das andere. Er hielt sie weiter fest, wärmte sie, gab ihr Halt und Geborgenheit. Kein Wort kam über seine Lippen. Sie hatte gehört, wie er aus dem Haus gerannt und dann stehen geblieben war. Doch hier war er ganz still. Er war bei ihr, teilte das Wunder der Natur, die sie umgab. Niemals konnte jemand einen Sonnenaufgang wie diesen mit Geld bezahlen. Genau das war es, was sie in ihren Bildern festzuhalten versuchte, ohne es mit Worten zu erklären. Diese Welt war es wert, geschützt zu werden. Hey, schau hin, wir sind ein Teil von ihr, und jeden Tag schenkt sie uns alles, was wir zum Leben brauchen, von Neuem. Jeder kann das Geschenk sehen und annehmen, wenn er bereit ist, seine Augen zu öffnen. Niemand konnte einem anderen Menschen verbieten, die Welt um ihn herum wahrzunehmen. Sie konnte das Staunen von Ben spüren, wie ein Kind, das zum ersten Mal das Meer erblickt. Oft fragte sie sich, wann sie das erste Mal in ihrem Leben die Farben der Blumen als ein Wunder begriffen hatte. Nicht in einem rationalen Sinn, sondern ausgehend von der Reichhaltigkeit, mit der sich die Blumen dem Auge des Betrachters darboten. Normalerweise fühlte sie sich so intensiv nur eins mit der Schöpfung, wenn sie für sich allein war. In diesem Moment spürte sie Gott in jeder Faser ihres Körpers, in jedem Atemzug. Aber ihr war nie klar gewesen, dass das Teilen eines solchen Augenblicks das Gefühl verdoppelte.
    Sie musste lachen über ihre Gedanken. Auch Bens Mund auf ihrem Kopf zog sich in die Breite. Er war ihr so nahe, wie noch kein Mensch zuvor. Weder mit Marie, noch mit ihrer Mutter hatte sie sich je so verbunden gefühlt. Nur mit ihrem Papa hatte sie solche Momente geteilt. Papa. Sie hörte sein Lachen. So fühlt es sich an, wenn man jemanden wirklich liebt, ohne Bedingung, trotz seiner Unvollkommenheit und seiner Fehler. Überrascht drehte sie den Kopf, ging ein wenig auf Abstand und musterte das Gesicht von Ben, welches das Sonnenlicht in goldenen Tönen beleuchtete. Jede Falte, jede Linie, jede Kurve und jeden Schwung. Seine Augen, die verträumt auf den Horizont geblickt hatten, kehrten zurück, sahen sie an mit einem tiefen Lächeln, bis die Augenbrauen fragend in die Höhe gezogen wurden.
    Sie lachte erstaunt auf über die Klarheit ihrer Gefühle. Mochte er auch
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