Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hand und Ring

Titel: Hand und Ring
Autoren: Anne Kathrine Green
Vom Netzwerk:
dies Antlitz geschaut, so vermochte man sich schwer wieder loszureißen. Es lag ein rätselhaftes Etwas darin. Nicht nur die hohe weiße Stirn, die tiefklaren Augen, deren durchsichtiges Grau sich unaufhörlich zu verändern schien, die gerade, feingeschnittene Nase, der ausdrucksvolle Mund war es, was den Beschauer selbst gegen seinen Willen festhielt; mehr als durch ihre Schönheit, durch den Reiz ihrer blühenden Jugend, fesselte sie noch durch ihr ganzes eigentümliches Wesen. Man fühlte, dies war ein Weib, das man anbeten, dem man sich blind ergeben konnte, aber das gänzlich zu begreifen man nie hoffen durfte.
    Ihr Kleid war von dunkelgrüner Farbe; die Handschuhe hielt sie in der Hand, ihr ganzes Auftreten drückte die äußerste Bestürzung aus.
    Ist sie tot – sagt mir's, wenn ihr's wißt! wiederholte sie heftig, als alle noch immer schwiegen.
    Schwer verletzt ist sie, ließ sich endlich ein derber Bursche vernehmen, der Arzt gibt keine Hoffnung.

    Der Eindruck dieser Worte war unverkennbar. Eine fahle Blässe bedeckte urplötzlich das Gesicht des Mädchens; krampfhaft preßte sie die Hände zusammen und schien nur mühsam ihre Fassung zu bewahren, doch stand sie hoch aufgerichtet da, sich gewaltsam bezwingend.
    Schrecklich, schrecklich, murmelten ihre Lippen, als spräche sie zu sich selbst, es kann nur Unheil daraus entstehen. Dann, als besinne sie sich plötzlich, wo sie sei, wandte sie sich kopfschüttelnd an die ihr zunächst Stehenden: Und ein Hausierer soll der Täter sein?
    Man hat ihn als des Mordes verdächtig festgenommen.
    Dann müssen ja wohl dringende Beweise gegen ihn vorliegen, sagte sie. Sich den Weg durch die Menge bahnend, welche ihr scheu und ehrerbietig Platz machte, betrat sie das Haus.
    Byrd hatte sich vorgebeugt, um ihr nachzublicken; dann wandte er sich an ein altes Weib in der Menge.
    Kennen Sie die Dame? fragte er. Sie ist wohl eine Verwandte der unglücklichen Frau?
    Die Züge der Alten nahmen einen grimmigen Ausdruck an. Nein, krächzte sie heiser, nicht einmal eine Bekannte.
    Die Antwort kam Byrd unerwartet; es schien ihm wohl der Mühe wert, der Sache auf den Grund zu gehen. Eben wollte er dem Fräulein ins Haus folgen, als er sich von dem Weibe zurückgehalten sah.
    Ich meine nur, flüsterte sie geheimnisvoll, sie besuchten einander nicht; gekannt haben sie sich natürlich, wie wäre das anders möglich in unserer kleinen Stadt!
    Byrd fand die junge Dame mitten im Wohnzimmer stehen, in stolzer, entschlossener Haltung, den Blick auf die Türe geheftet, die in Frau Klemmens' Schlafgemach führte; Rechtsanwalt Orkutt war zu ihr getreten.
    Dies ist kein Platz für Sie, Imogen, sagte letzterer mit wahrhaft väterlicher Besorgnis; was suchen Sie hier an dem Ort des Schreckens? – Gehen Sie lieber heim; bei meiner Rückkehr sollen Sie alles erfahren, was Ihnen zu wissen frommt! Seine Stimme klang sanft, fast zärtlich.
    Ihre Augen suchten den Boden: Ich weiß, ich habe kein Recht hier einzudringen, versetzte sie, aber ich kann nicht gehen, ohne den Ort gesehen zu haben, wo man die arme Frau in ihrem Blute gefunden hat und die Mordwaffe, mit welcher der Streich geführt wurde; bitte, zeigen Sie mir alles, Herr Ferris! Sie schien die Gewährung ihres seltsamen Verlangens mit Zuversicht zu erwarten, als sei sie sich der Macht ihrer Persönlichkeit bewußt.
    Ich will den Coroner fragen, versetzte der Bezirksanwalt und ging nach dem Eßzimmer. Sie wartete jedoch die Erlaubnis nicht ab, sondern folgte ihm auf dem Fuße zu dem Schauplatz der Schreckenstat, wo sie sich alles genau zeigen und berichten ließ. Niemand widersetzte sich ihrem Willen; es schien, als habe sie nur zu befehlen, um ihre Wünsche erfüllt zu sehen; alle behandelten sie mit Rücksicht, fast mit ehrfurchtsvoller Scheu, nur Orkutt sah aus, als verursache ihm ihr Benehmen Unruhe und Besorgnis.
    Und ein Hausierer hat die Tat verübt? rief sie aus, gedankenvoll vor sich niederblickend. Plötzlich stutzte sie. Byrd, der allen ihren Bewegungen folgte, sah, wie sie einen Schritt vorwärts tat und den Fuß sorgfältig auf eine Stelle des Teppichs niedersetzte.
    Sie hat etwas erspäht, dachte der Detektiv und wartete, daß sie sich hinunterbeugen werde; aber sie stand aufrecht da und schien nur durch allerlei Fragen die Aufmerksamkeit der Anwesenden von ihrer Person ablenken zu wollen.
    Klopft da nicht jemand an der Hintertür? rief sie plötzlich. Doktor Tredwell ging nachzusehen.
    Haben Sie nichts gehört? wandte sie sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher