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Hana

Hana

Titel: Hana
Autoren: Lauren Oliver
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jätet. Ich schwöre, dass ich manchmal glaube, sie pflanzt Unkraut, nur damit sie es wieder rausreißen kann.«
    Ich entgegne nichts. Ich habe Gerüchte gehört, dass Mr und Mrs Hargrove enge Verbindungen zum Vorsitzenden der Vereinigung für ein Deliria-freies Amerika pflegen, einer der mächtigsten Anti-Deliria-Gruppen des Landes. Da ergibt es Sinn, dass sie am liebsten die hässlichen Gewächse ausmerzt, die sonst ihren perfekten Garten verunstalten würden. Das will die VDFA auch: die völlige Ausrottung der Krankheit, der hässlichen, dunklen Gefühle, die sich schlangengleich der Kontrolle entziehen.
    Mir ist plötzlich, als wäre mir etwas Hartes und Scharfes im Hals stecken geblieben. Ich schlucke, strecke die Hand aus und umklammere das Geländer der Veranda, dessen Unebenheit und Härte mich trösten.
    Eigentlich sollte ich dankbar sein. Das würde meine Mutter sagen. Fred sieht gut aus, er ist reich und scheint nett zu sein. Sein Vater ist der mächtigste Mann in Portland und Fred wird irgendwann seinen Platz einnehmen. Aber die Enge in meiner Brust und meiner Kehle will einfach nicht verschwinden.
    Er kleidet sich wie sein Vater.
    Meine Gedanken huschen zu Steve – seinem offenherzigen Lachen, seinen langen, sonnengebräunten Fingern, die über meine Schenkel fahren – und ich verdränge das Bild schnell.
    »Ich beiße nicht, weißt du«, sagt Fred leichthin. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Einladung sein soll, näher zu kommen, aber ich bleibe, wo ich bin.
    »Ich kenne dich nicht«, entgegne ich. »Und ich bin es nicht gewohnt, mit Jungen zu reden.« Das stimmt zwar nicht mehr ganz – zumindest nicht mehr, seit Angelica und ich die Untergrundbewegung entdeckt haben –, aber davon hat er natürlich keine Ahnung.
    Er breitet die Hände aus. »Ich bin wie ein offenes Buch. Was willst du wissen?«
    Ich wende den Blick ab. Ich habe viele Fragen: Was mochtest du, bevor du geheilt wurdest? Was ist für dich die schönste Zeit des Tages? Wie war deine erste Partnerin und was ist schiefgelaufen? Aber keine davon kann ich stellen. Und er würde mir sowieso nicht antworten oder mir die Antworten geben, die man ihm beigebracht hat.
    Als Fred klar wird, dass ich nichts sagen werde, seufzt er und steht auf. »Du dagegen bist mir ein völliges Rätsel. Du bist sehr hübsch. Du musst intelligent sein. Du läufst gerne und warst Vorsitzende des Debattierklubs.« Er ist über die Veranda auf mich zugekommen und lehnt sich ans Geländer. »Das ist alles, was ich weiß.«
    »Mehr ist da auch nicht«, sage ich energisch. Das harte Etwas in meinem Hals wird immer größer. Obwohl die Sonne bereits vor einer Stunde untergegangen ist, ist es immer noch sehr heiß. Unvermittelt denke ich darüber nach, was Lena heute Abend wohl macht. Sie ist bestimmt zu Hause – es ist schon kurz vor der Ausgangssperre. Wahrscheinlich liest sie ein Buch oder spielt mit Grace.
    »Intelligent, hübsch und schlicht«, sagt Fred. Er lächelt. »Perfekt.«
    Perfekt. Da ist das Wort wieder: ein Wort wie eine verschlossene Tür – erdrückend, erstickend.
    Eine Bewegung im Garten lenkt mich ab. In den Schatten bewegt sich etwas – und bevor ich aufschreien oder Fred warnen kann, taucht ein Mann mit einem langen, militärisch aussehenden Gewehr zwischen den Bäumen auf. Dann schreie ich doch auf; Fred dreht sich um und fängt an zu lachen.
    »Keine Sorge«, sagt er. »Das ist nur Derek.« Als ich ihn weiterhin entgeistert anstarre, erklärt er: »Einer von Dads Wachleuten. Wir haben die Sicherheitskräfte kürzlich verstärkt. Es gab da Gerüchte …« Er bricht ab.
    »Was für Gerüchte?«, hake ich nach.
    Er weicht meinem Blick aus. »Es ist wahrscheinlich übertrieben«, sagt er beiläufig. »Aber manche Leute sind überzeugt davon, dass die Widerstandsbewegung wächst. Nicht alle glauben, dass die Invaliden« – er zuckt zusammen, als er das Wort ausspricht, als schmerzte es ihn – »während der Offensive ausgelöscht worden sind.«
    Widerstandsbewegung. Invaliden. Ein Kribbeln breitet sich in meinem Körper aus, als wäre ich gerade an eine Steckdose angeschlossen worden.
    »Mein Vater glaubt das natürlich nicht«, schließt Fred ausdruckslos. »Trotzdem: Vorsicht ist besser als Nachsicht, oder?«
    Ich schweige. Was Fred wohl tun würde, wenn er von der Untergrundbewegung wüsste und erführe, dass ich den Sommer bei verbotenen Strandpartys und Konzerten ohne Geschlechtertrennung verbracht habe? Was er wohl tun
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