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Hana

Hana

Titel: Hana
Autoren: Lauren Oliver
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Frage nicht beantwortet habe. »Ich muss immer mal die Strecke wechseln«, sage ich. Ich bin wahrscheinlich seit März oder April nicht mehr beim Gouverneur vorbeigelaufen. »Sonst wird es langweilig.« Und dann, weil ich nicht anders kann, quieke ich: »Du erinnerst dich an mich?«
    Er lacht. »Du warst kaum zu übersehen. Du bist immer um die Statue rumgerannt und -gesprungen und hast irgendwas gerufen.«
    Hitze kriecht mir den Nacken und die Wangen hinauf. Bestimmt bin ich wieder knallrot, und ich danke Gott dafür, dass wir uns von den Bühnenlichtern entfernt haben. Das habe ich völlig vergessen; ich bin immer hochgesprungen und habe versucht mit dem Gouverneur abzuklatschen, wenn Hana und ich vorbeigerannt sind, als eine Art psychische Einstimmung auf den Lauf zurück zur Schule. Manchmal haben wir sogar »Halena!« gerufen. Wir müssen einen total bescheuerten Eindruck gemacht haben.
    »Ich …« Ich lecke mir über die Lippen, krame nach einer Erklärung, die nicht lächerlich klingt. »Beim Laufen macht man manchmal komische Sachen. Wegen der Endorphine und so. Das ist wie eine Droge, weißt du? Bringt das Gehirn durcheinander.«
    »Mir hat’s gefallen«, sagt er. »Du hast …« Er verstummt kurz. Sein Gesicht zieht sich ein wenig zusammen, eine winzige Veränderung, die ich in der Dunkelheit kaum erkennen kann, aber in diesem Augenblick sieht er so unbewegt und traurig aus, dass es mir beinahe den Atem raubt, als sei er eine Statue oder ein anderer Mensch. Ich fürchte schon, er wird den Satz nicht zu Ende bringen, aber dann sagt er: »Du hast glücklich ausgesehen.«
    Eine Weile stehen wir einfach nur schweigend da. Dann ist er plötzlich wieder zurück, der unbeschwerte, lächelnde Alex. »Ich habe einmal eine Nachricht für dich hinterlassen. In der Faust des Gouverneurs, weißt du?«
    Ich habe einmal eine Nachricht für dich hinterlassen. Das ist unmöglich, zu verrückt, um auch nur gedacht zu werden, und ich höre, wie ich wiederhole: »Du hast eine Nachricht für mich hinterlassen?«
    »Ich bin ziemlich sicher, dass es irgendwas Blödes war. Nur Hallo und ein Smiley und mein Name. Aber dann bist du nicht mehr gekommen.« Er zuckt die Achseln. »Sie ist bestimmt immer noch da. Die Nachricht, meine ich. Inzwischen wahrscheinlich nur noch ein bisschen Papierbrei.«
    Er hat mir eine Nachricht hinterlassen. Er hat mir eine Nachricht hinterlassen. Für mich. Die Vorstellung – die Tatsache, dass er mich überhaupt bemerkt und länger an mich gedacht hat als nur eine Sekunde – ist großartig und überwältigend, sie bringt meine Beine zum Zittern und meine Hände fühlen sich taub an.
    Und dann bekomme ich Angst. So fängt es an. Selbst wenn er geheilt ist, selbst wenn er immun ist – ich bin es nicht und so fängt es an. Erste Phase: geistige Abwesenheit; Konzentrationsschwierigkeiten; Mundtrockenheit; starkes Schwitzen, feuchte Handflächen; Benommenheit und Orientierungslosigkeit. Übelkeit und Erleichterung zugleich durchfluten mich. Mir kommt es vor, als wüssten es längst alle, als hätten alle mein fürchterlichstes Geheimnis schon immer gekannt. Tante Carol hatte die ganze Zeit Recht, genau wie meine Lehrer und meine Cousins und Cousinen. Ich bin eben doch genau wie meine Mutter. Und dieses Etwas, die Krankheit, steckt in mir, bereit, jeden Moment in mir auszubrechen, mich zu vergiften.
    »Ich muss gehen.« Ich mache mich wieder auf den Weg den Hügel hinauf, renne jetzt beinahe, aber er kommt mir erneut nach.
    »He. Nicht so schnell.« Auf der Hügelkuppe streckt er den Arm aus und legt eine Hand auf mein Handgelenk, damit ich anhalte. Seine Berührung brennt und ich zucke schnell zurück. »Lena. Warte einen Moment.«
    Obwohl ich weiß, dass ich es nicht tun sollte, bleibe ich stehen. Es liegt daran, wie er meinen Namen ausspricht: wie Musik.
    »Du musst dir keine Sorgen machen, okay? Du musst keine Angst haben.« Seine Stimme funkelt wieder. »Ich flirte nicht mit dir.«
    Verlegenheit durchströmt mich. Flirten . Ein schmutziges Wort. Er denkt, ich würde denken, er würde mit mir flirten. »Ich … ich habe nicht gedacht, dass du … ich würde nie denken, dass du …« Die Wörter stoßen in meinem Mund zusammen und jetzt weiß ich, dass es gar nicht so dunkel sein kann, dass ihm die Schamesröte auf meinem Gesicht verborgen bleiben könnte.
    Er legt seinen Kopf schräg. »Flirtest du denn mit mir? «
    »Was? Nein«, stottere ich. Mein Verstand dreht sich, blind, voller Panik,
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