Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halte meine Seele

Halte meine Seele

Titel: Halte meine Seele
Autoren: R Vincent
Vom Netzwerk:
Menschen genauso? Hatte Doug so viel davon eingeatmet, dass seine Seele beeinträchtigt war? Und wie war er überhaupt an das Zeug rangekommen?
    „Ich sehe mich mal ein bisschen um“, flüsterte ich, doch Nash schüttelte den Kopf.
    „Nein!“ Er zog mich noch fester an sich und tat so, als wolle er mich über den Verlust meines Autos hinwegtrösten. „Du darfst da nicht rübergehen. Hellions verlieren nicht gerne, Kaylee, und Avari wird für den Rest deines Lebens hinter deiner Seele her sein.“
    Weil ich, nachdem wir die Seelen der Page-Schwestern zurückgeholt hatten, entkommen war – und zwar mitsamt meiner Seele.
    „Ich schaue nur ganz kurz rein.“ Es war mir möglich, wie durch ein Fenster in die Unterwelt zu sehen, ohne sie tatsächlich zu betreten. „Und außerdem wird Avari sowieso nicht da sein.“ Ich runzelte die Stirn. „Hier, meine ich.“ Oder wo auch immer. „Auf Scott Carters Party eben.“
    Die Unterwelt glich einem verzerrten Spiegelbild unserer Welt. An bestimmten Punkten waren beide miteinander verankert, nämlich dort, wo viel menschliche Energie in die Unterwelt sickerte. Dabei fungierte sie ähnlich wie ein Zahnstocher, der die Lagen eines Sandwiches zusammenhält.
    „Kaylee, ich halte das für keine …“
    Ich brachte Nash mit einem scharfen Blick zum Schweigen. Jetzt war nicht der richtige Moment zum Streiten. „Stell dich einfach vor mich hin, damit mich keiner sieht. Es dauert ja nur eine Minute.“
    Als er nicht reagierte, stellte ich mich kurz entschlossen hinter ihn und schloss die Augen. Und dachte an den Tod.
    In Gedanken durchlebte ich den allerersten Vorfall – zumindest den ersten, an den ich mich erinnerte – und zwang mich, an das Grauen zurückzudenken. Die dunkle Gewissheit, dass dieser arme Junge im Rollstuhl sterben würde. Die Schatten, die um ihn herumwirbelten. Und durch ihn hindurch.
    Zum Glück reichte die Erinnerung an den Tod, um den Schrei in meiner Kehle aufsteigen zu lassen. Der Klageschrei einer Banshee kündigt den bevorstehenden Tod eines Menschen an und kann die Seele des Verstorbenen solange in einem Schwebezustand halten, bis ein Banshee-Mann sie wieder zurückführt. Ich konnte meinen Schrei aber auch dazu nutzen, in die Unterwelt hineinzuschauen – zusammen mit allen anderen Banshees, die in der Nähe waren. Und sie zu betreten, wenn ich mich dazu entschloss.
    Aber ich wollte nicht in die Unterwelt hinabsteigen. Nie mehr.
    Ich kontrollierte den Schrei, hielt ihn in meiner Kehle und meinem Herzen fest, sodass niemand außer Nash etwas hörte und selbst er nur einen ganz leisen Ton vernahm.
    Nash griff nach meiner Hand, aber seine Haut fühlte sich gar nicht warm an. Sofort schlug ich die Augen auf und schnappte erschrocken nach Luft. Ein durchsichtiger grauer Schleier bedeckte die Straße, so als wäre eine dunkle Wolke zu Boden gesunken. Meine Welt gab es noch – Polizei, Abschleppwagen, Krankenwagen und ein paar Gaffer.
    Aber darunter – eine Ebene tiefer – lag die Unterwelt.
    Spröde, olivfarbene Klingenweizenhalme wehten sachte im Wind – ich wusste aus Erfahrung, dass er kalt war, auch wenn ich nichts fühlte – und klimperten beim Aneinanderreiben wie kleine Glöckchen. Der dunkelrote Himmel war mit grünen und blauen Schlieren übersät, wie Hämatome auf dem Antlitz der Erde.
    Es war ein schöner und zugleich erschreckender Anblick. Und zum Glück war niemand hier. Keine Hellions. Keine Monster. Keine Kreaturen, die nur darauf lauerten, uns zu fressen oder Doug Fuller ihren giftigen Atem ins Gesicht zu blasen.
    „Okay, die Luft ist rein. Du kannst aufhören“, flüsterte Nash, woraufhin ich den Schrei restlos hinunterschluckte.
    Nach und nach löste sich der graue Schleier auf, und hinter den falschen, langsam verblassenden Farben kam wieder der Nobelvorort zum Vorschein, der mich jetzt, nachdem ich wusste, was darunterlag, viel weniger einschüchterte. In der Unterwelt sah Scotts Viertel nämlich genauso aus wie meins.
    Verstört von dieser fremden Welt, die uns schon einmal hatte verschlingen wollen, legte ich die Arme um Nash und schmiegte mich an ihn. „Egal, wie er an das Zeug gekommen ist, die direkte Quelle hat er bestimmt nicht angezapft“, sagte ich und ließ ihn los, um mich der realen Welt zu stellen.
    Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass die Polizei im Anmarsch war, hatten sich die meisten Gäste aus dem Staub gemacht, und der mutige – und nüchterne – Rest saß zusammen mit Scott auf der Wiese
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher