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Halsknacker

Halsknacker

Titel: Halsknacker
Autoren: Stefan Slupetzky
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Puppi aus dem Fond zu heben.
    Die Pudeldame hatte mittlerweile fertig gegessen. Nicht nur das Röhrchen, auch alle Tabletten waren in ihrem Magen verschwunden. Ein Jammer: Ich hätte im Augenblick selber gern eine gehabt.
    »Puppi, mei Bopperl! Was hast denn?« Frau Heringer beugte sich über den zitternden Hund, dessen Schnauze ein klagendes Winseln entströmte. »Ja, Himmelvotta … Had di der Hundsbua, der saggrische, aa no vagift!«
    »Fotzts ’n ab!«, »Mischts ’n auf!«, »Machts ’n hi!«, kommentierte das Publikum. Und nur der junge Mann, der mich unerbittlich im Klammergriff hielt, fügte ein leises »Pfui Daife, des is fei’ greisli …« hinzu.
    Ich dachte zunächst, dass er sich auf Puppi von Haindlfings Wuchs bezog, auf den regelrecht basiliskischen Anblick des Tiers. Bald aber wurde mir klar, dass sein Ausspruch nur dem galt, was Puppi jetzt tat: Mit einem heiseren Röcheln riss sie das Maul auf und spie einen glänzenden, fliederfarbenen Schwall auf das Straßenpflaster. Puppi würgte. Puppi rotzte. Puppi kotzte sich die Seele aus dem Leib: eine Seele aus Magentabletten und Fünfhundert-Euro-Noten.
    Und das war mein Glück.
    Hätte nämlich Puppi nicht gekotzt, sie wäre vermutlich verreckt. Und wäre sie verreckt, dann hätte der Mob mich gelyncht. Die Münchner hätten mich fachgerecht gehäutet und ausgeweidet, spätestens als sie das Klappmesser und die Pistole in meinem Hosensack fanden.
    Dass sie es nicht taten, habe ich einerseits Puppis Genesung, andererseits ihrem Frauchen zu danken. Ja, es war ausgerechnet Frau Heringer, die dem versammelten Trachtengesindel entgegentrat.
    »Sakra no amoi! Seids es alle bledg’suffa? Den Lauskerl, den miserabligen, kann i no braucha!« Mit diesen Worten bahnte sie sich einen Weg durch die Menge und stieß mich die Straße hinab, nicht ohne mir vorher mit ihrem Kropfband die Hände gefesselt zu haben.
    Mittlerweile haben selbst die Münchner Bäume ausgeblüht. Der Sommer ist vorbei, und auf der Wiesn sind schon längst die Zelte aufgebaut. Es ist Mittwoch, vierzehn Uhr. In einer halben Stunde werde ich mich auf den Weg machen, in die Au, um Puppi zu Coiffeur Fifi zu bringen. Ich beklage mich nicht. Die Verpflegung ist gut. Am Morgen, nach dem ersten Gassigehen, bekomme ich zum Frühstück ein kernweiches Ei serviert. Frau Heringer hat ein winziges Häubchen aus Blümchenbrokat darübergestülpt, um es warm zu halten. Und was ihren Mann, Herrn Heringer betrifft, der hat mir vor einigen Tagen sogar ein Geschenk gemacht: meine erste Lederhose, damit er sich nicht mit mir schämen muss, wenn ich ihn auf das Oktoberfest begleite. Einen Gamsbart, so wie er ihn ständig trägt, besitze ich aber noch nicht. Den müsse ich mir erst verdienen, hat Herr Heringer gesagt, um – wie immer – ein grimmiges »Mi leckst am Arsch, du hintafotziga Kerl, du hintafotziga!« hinzuzusetzen.
    Er hat mir, wie mir scheint, noch immer nicht verziehen, dass ich so schmählich versagt habe. Aber den Auftrag hat er trotz allem storniert. Aus Angst vor seiner Frau wahrscheinlich, aber auch, weil er Gefallen an meinem Eigentum gefunden hat: Es ist ihm mittlerweile wichtiger, mit meinem Wagen auf die Jagd zu fahren, als einen würdigen, seinen Passionen entsprechenden Hund an seiner Seite zu wissen.
    Denn das war ja auch sein Motiv für den Auftrag gewesen: den ungeliebten Pudel zu entsorgen, um sich an seiner statt einen zünftigen Dachshund beschaffen zu können. Puppi duldete nun einmal keine tierischen Mitbewohner. Und Frau Heringer duldete ihrerseits nicht, dass man Puppis sensibles Gemüt aus dem Gleichgewicht brachte. Herr Heringer hasste sie beide dafür. Er hasste sie so abgrundtief, dass er Mittler beauftragt hatte, sich der Sache anzunehmen. »I will fei’ den bestn von deine Expertn«, hatte Heringer gesagt.
    Den Besten hat er letztlich auch bekommen, denn es ist mir immerhin gelungen, ihn von seinem Hass zu heilen. Geblieben ist nichts als ein dumpfer, verhaltener Groll. »A rechta Boar hod an Dackl oda gar nix«, brummt Herr Heringer zuweilen vor sich hin, wenn Puppis weiße Puschel sein Gesichtsfeld kreuzen. Was ohnehin nur noch selten der Fall ist, seit ihre Betreuung zu meinen Verpflichtungen zählt.
    Ich beklage mich nicht. Der Pudel ist alles, was mir noch geblieben ist – der Pudel und die Lederhose. Mein Geld, mein Messer und meine Pistole sind perdu, genauso wie Mittlers Magentabletten. Mein Autoschlüssel liegt sicher verwahrt in Herrn Heringers preziös
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