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Halsknacker

Halsknacker

Titel: Halsknacker
Autoren: Stefan Slupetzky
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zwei Jahren nach Wien übersiedelt, mit seiner Frau Gemahlin und der Tochter. Was hat er gemacht in der Stadt?«
    »Ehrlich g’sagt, gar nichts. Der hat’s auch nicht nötig g’habt. Zwei riesige Güter soll er besessen haben, draußen im Weinviertel. Die hat er angeblich verkauft, von einem Tag zum anderen. Ganz im Vertrauen, Herr Inspektor: Der ist nur so g’schwommen im Geld.«
    »Ja aber … Was wollt er dann bei uns in Wien?«, wird jetzt Marie von Strotzka unterbrochen.
    »Spekulieren und schwärmen«, gibt sie kurzerhand zurück. »Spekulieren drüben an der Börse am Schottenring, das ist ja nur ein Katzensprung von hier. Und schwärmen von der neuen Zeit. Jeden Tag ist er im City g’sessen, immer auf demselben Platz«, Marie wagt einen kurzen Blick auf den verwaisten, blutbespritzten Sessel und wendet sich erschaudernd ab, »und hat sein Loblied auf die Technik g’sungen. ›Wir leben mitten in der Zukunft, Fräulein Mizzi!‹, hat er immer ganz begeistert gerufen. ›Die Industrie und die Elektrik, die Maschinen und die Medizin! Ein einziger Segen, ein Aufbruch des Geistes! Wer jetzt abseits steht, der versäumt sein Leben!‹ Und dann hat er ganz andächtig gelauscht, wenn wieder die Elektrische vorbeigedonnert ist …« Marie hält inne und ringt seufzend die Hände. »Aber dem Sopherl, seiner Tochter, war die Technik zu viel. Der Lärm, der Trubel, der ganze Verkehr. War ja erst sieben, das arme Kind. Und justament ist sie dem Fortschritt dann zum Opfer g’fallen. Kurz nachdem die Mosers bei uns im Haus ein’zogen sind, ist die Sophie in die Straßenbahn g’rennt. Eine furchtbare G’schicht. Beide Beine gebrochen, ein Jammer. Im Spital haben sie’s damals zusammengeflickt, erfolgreich, wie die Herren Doktoren stolz behauptet haben. Aber gehen hat sie trotzdem nimmer können, die Sophie. Bis heute nicht. Die Ärzte haben g’sagt, sie will ganz einfach nimmer laufen, und dass es was Seelisches ist …«
    »Was Seelisches, aha«, brummt Strotzka. »Und die Gattin vom Moser?«
    Marie tritt einen Schritt näher. Mit einem nun doch etwas neckischen Augenaufschlag (es liegt ihr halt im Blut) raunt sie Strotzka verschwörerisch zu: »Die Moserin hat ihn dafür gehasst. Die ist halt so eine … Gestrige, wissen S’? Eine ewige Landpomeranzen, eine Kerzelschluckerin und Herrgottschleckerin … Mein Gott!«, Marie schrickt auf und schlägt die Hände vor den Mund. »Da kommt s’ ja, die Alte …«
    Über das Pflaster der Servitengasse rumpelt ein hölzerner Rollstuhl, in dem ein blasses Mädchen sitzt. Dahinter geht eine magere, schwarz gekleidete Frau.
    »Kollmann!«, zischt Strotzka. »Schnell, für die Leich’ was zum Zudecken!«
    »Ja, aber … Was soll ich denn jetzt in der G’schwinden …«
    »Ein Tischtuch, wenn’s d’ holst, oder besser gleich zwei!«
    Kollmann setzt sich fügsam in Bewegung, doch er kommt nicht weit: Ein kurzes, hässliches Knirschen und er stürzt mit rudernden Armen zu Boden.
    »Sakra! Mein Haxen!« Kollmann reibt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den linken Knöchel. Beugt sich dann zur Seite und klaubt etwas Kleines, Glitzerndes aus dem Straßenstaub. Es ist eine hellblaue, gläserne Murmel.
    »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen … Nicht hinschauen, mein Kind, nur nicht hinschauen. Der Papa hat’s gut jetzt. Der ist … bei den Engerln.« Die kleine Frau bekreuzigt sich zum dritten Mal und schiebt den Rollstuhl auf das Haustor zu.
    »Frau Moser, entschuldigen S’, dürften wir kurz …« Verstört blickt Strotzka der Moserin nach.
    »Ich sag’s ja. Nicht eine einzige Träne.« Marie verschränkt die Arme vor der Brust und schüttelt den Kopf, während Strotzka und Kollmann der Frau in den Hausflur folgen.
    »So warten S’ doch! Wir müssen mit Ihnen … Frau Moser!«
    Mit einem heftigen Ruck setzt sich der Aufzug in Bewegung. Ein rhythmisches Klopfen hallt jetzt durchs Stiegenhaus: Die Moserin und ihr behindertes Kind entschwinden langsam nach oben. Ohne ein weiteres Wort hastet Strotzka die Treppen hinauf, nimmt zügig zwei Stufen auf einmal. Kollege Kollmann hinkt hinterher.
    »Was tät man ohne die moderne Technik, nicht wahr?« Sie wuchtet den Rollstuhl aus dem Fahrkorb und schließt das Gitter hinter sich. »Man müsste glatt zu Fuß da herauf.« Sie schiebt den Rollstuhl an Strotzka vorbei, zieht einen Schlüsselbund aus ihrer Tasche und öffnet die schwere Kassettentür am Ende des Ganges. »Ohne die Technik bräuchte man aber erst gar
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