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Halsknacker

Halsknacker

Titel: Halsknacker
Autoren: Stefan Slupetzky
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linke Hinterbacke getroffen und war in hohem, perfekt parabolischem Bogen ins kroatische Tor zurückgesegelt.
    Zwei zu null, so lautete das Endergebnis, und der vermeintliche Herbert Kopeinig wurde als Vater dieses fulminanten Sieges gefeiert. Von »brillanter, nie da gewesener Taktik« war vor den Fernsehkameras die Rede, von der »Sternstunde des Stürmerprinzen«, den ein besonders geistreicher Sportjournalist auch als »Mann mit der goldenen Backe« bezeichnete. Alles wäre gut und schön gewesen, hätte die Putzfrau den echten Kopeinig nicht auf dem Klo entdeckt. Halb tot lag er da, aber eben nur halb – er hatte beträchtliches Glück gehabt: Zwar konstatierte der Arzt eine klaffende Wunde am Hinterkopf und eine schwere Gehirnerschütterung, aber doch keinerlei bleibende Schäden.
    Noch in derselben Nacht erwachte Kopeinig im Krankenhaus.
    »Wissen Sie, wie Sie heißen?«
    »Ich … Ja, natürlich. Kopeinig … Herbert Kopeinig …«
    »Verstehe … Und können Sie sich noch erinnern, Herr, äh … Kopeinig, was da passiert ist, am Abend im Stadion?«
    »Sicher … Spielen hätt ich sollen. Gegen die Kroaten …«
    Der Kommissar hob zweifelnd den Kopf und blickte zu der kleinen, gleichwohl illustren Gruppe hin, die sich im Halbdunkel des Zimmers versammelt hatte.
    »Ich kenne den Mann nicht«, sagte der Präsident und legte behutsam die Hand auf die Schulter des Trainers.
    »Nie gesehen«, meinte der Trainer und packte sanft den Arm von Herbert Kopeinigs Gattin.
    »Mein Schatzi schaut ganz anders aus«, hauchte Herbert Kopeinigs Gattin.
    »In Ordnung«, nickte der Kommissar. »Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben …«
    Im zweiten Spiel, gegen Polen, schoss Eduard Sches tak nur ein einziges Tor – diesmal mit seiner rechten Backe. Obwohl sich die Polen bald mit drei zu eins in Führung setzten, nahm man ihm seine vergleichsweise magere Ausbeute nicht übel. Im Gegenteil: Wann immer er ins Abseits torkelte, wurde er aus Leibeskräften angefeuert, und sobald er sich hustend und spuckend auf dem Rasen krümmte, brachen wahre Begeisterungsstürme los. Endlich ein Spieler, dem man den Druck eines großen Turniers nicht anmerkte! Kaltblütig, nervenstark, und trotzdem ein ganz gewöhnlicher Mensch, ein Mensch wie du und ich. Die Österreicher ließen sich die Hoffnung nicht mehr nehmen: Selbst als die Mannschaft den Aufstieg ins Viertelfinale verpasste, hielten sie ihrem Idol, dem Mann mit der goldenen Backe, die Treue.
    Eduard Schestak hatte es also geschafft; er hatte seinem Leben die entscheidende Wendung gegeben. Fortan lebte er in Herbert Kopeinigs Villa, fuhr Herbert Kopeinigs Porsche, trank Herbert Kopeinigs Prosecco und schlief mit Herbert Kopeinigs Frau: Nach einer kurzen Phase der Eingewöhnung schien auch sie am schlichten und ungekünstelten Stellungsspiel Schestaks Gefallen zu finden.
    Herbert Kopeinig dagegen wurde erst Monate später aus der Nervenheilanstalt entlassen. Lange hatten die Ärzte versucht, ihn von der fixen Idee zu befreien, Herbert Kopeinig zu sein, und nur eine ausgeklügelte Mischung aus chemischen Cocktails und elektrischen Muntermachern hatte dann doch noch zur Heilung geführt. Es fiel dem solcherart amnesierten Kopeinig nicht leicht, sich in Freiheit zurechtzufinden: Nachdem er stundenlang durch die nebelverhangenen Straßen der Vorstadt geirrt war, betrat er aufs Geratewohl ein kleines, unscheinbares Wirtshaus.
    »Da kommt er ja endlich, der Kopeinig!«, schallte es ihm frohgemut entgegen.

Halsknacker
    D er Polivka sitzt müde auf der Couch und zappt sich durchs Abendprogramm. Es ist kurz vor neun; auf allen Sendern wird fleißig gemordet und aufgeklärt. Inspektor Columbo hat noch eine Frage, Harry holt schon mal den Wagen, Monk klaubt eine Fussel von seinem Jackett. Der Polivka zappt weiter, ärgerlich und immer ärgerlicher. Schließlich zahlt man auch als Krimineser seinen Fernsehbeitrag, und was bekommt man geboten? Nichts, was man nicht vor dem Dienstschluss auch schon hatte, nichts als seinen Job. So, als würde ein Grubenarbeiter seine hart verdiente Kohle für Dokumentarfilme über den Bergbau verpulvern.
    Neun Uhr. Auf dem Bildschirm untersucht ein Pathologe Hautpartikel eines Serienkillers, die er dem Mageninhalt eines Goldfischs entnommen hat, in dessen Glas die Tatwaffe (eine halbautomatische Glock) gefallen war. Polivkas Handy läutet: Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett. Diesen Klingelton hat der Polivka dem Kommissariat zugeordnet, allerdings weniger
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