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Halsknacker

Halsknacker

Titel: Halsknacker
Autoren: Stefan Slupetzky
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aufgeplatzte Weißwurst auf vier Beinen, das war mein erster Gedanke. Dann aber kam jählings die Erkenntnis.
    Ehe nämlich die zwei Trachtenwesen den Friseursalon betraten, beugte sich die dicke Frau zu dem Geschöpf hinunter, um ihm jenen Wattebausch zu tätscheln, der wohl den Kopf darstellen sollte: »Oiso, jetz gemma Haar schneid’n, gell, Puppi?«
    Puppi von Haindlfing. Weiße Locken. Meine Zielperson war eine Münchner Pudeldame.
    Sie können sich nicht vorstellen, wie bestürzt ich war. Zum einen fühlte ich mich unsagbar gedemütigt: ein Spezialist mit makelloser Laufbahn, ein Mann, der sich im Schweiße seines Angesichts den Ruf geschaffen hat, der Zuverlässigste und Unerbittlichste in seiner Branche zu sein. Ein Meister in der Kunst der spurlosen Entledigung. So einen Mann nach München zu entsenden, um dort einen Pudel auszulöschen, ist eine grobe Missachtung nicht nur des Mannes, sondern des ganzen Gewerbes. Dazu kam noch der spezielle Wunsch des Kunden, der Wunsch nach einem hässlichen Tod. Die Patientin soll kein schönes Bild abgeben, wenn man sie findet … Wie um alles in der Welt, so dachte ich, kann eine Missgestalt wie dieser Hund im Tod noch hässlicher werden? Muss die Vernichtung des Hässlichen nicht zwangsläufig Schönheit hervorbringen? Und wenn schon nicht Schönheit, so doch eine gewisse morphologische Katharsis? Mit einem Mal erschien mir mein Auftrag unlösbar. Andererseits befand sich schon ein Packen Geld in meiner Jacke, und ein weiterer, doppelt so dicker wartete darauf, in meine Obhut genommen zu werden.
    Was also tun? Dieweil ich unentschlossen vor mich hin sinnierte, trat die feiste Trachtenfrau aus dem Portal – diesmal ohne Begleitung. Sie wandte sich kurz der verspiegelten Scheibe zu, kontrollierte den Sitz ihres breiten, mit zartrosa Perlen besetzten Kropfbands und entfernte sich dann Richtung Osten.
    Fünfzehn Uhr dreißig. Ich hatte mich entschieden, für das Geld und gegen meinen Stolz. Wenn ich mir dabei redliche Motive zuschrieb (etwa, dass ich diese Welt in eine lebenswertere verwandeln würde, indem ich sie von diesem Lindwurm befreite), so war dies eine reine Schutzbehauptung. Mein Körper wusste es besser: Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend, wie ich es seit meinen ersten beruflichen Einsätzen nicht mehr gehabt hatte, zog ich die Tür des Salons auf. Heller Glöckchenklang ertönte.
    »Griasgott! Konn i Eana helfa?« Ein wohlbeleibter und intensiv duftender Herr im Seidenanzug eilte auf mich zu. Seine mächtige, glänzende Dauerwelle wippte im Rhythmus seiner Schritte.
    »Ich bin … Ich komme, um …«, begann ich zögernd.
    »Jamei, Sie ham ja gar koa Hundal ned dabei!« Er suchte mit den Blicken irritiert den Boden ab.
    »Nein, ich … möchte nur jemanden abholen.«
    »A geh! Wen denn nachad?«
    »Puppi«, murmelte ich. »Puppi von Haindlfing.«
    »Des Frailein Puppi? Zwengs wos kommt da ned ihr Frauerl, d’ Frau Heringer?«
    »Weil … Also ein Notfall. Die Frau Heringer hat sich gerade den Knöchel gebrochen. Und da hat sie mich gebeten …«
    »Ja sakra! De arme Frau, a soichas Gfrett! I schaug glei, ob s’ schon fertig is, des Frailein Puppi.« Mit wehenden Schößen verschwand er hinter einem dicken roten Vorhang.
    Ich sah mich um. An den Samttapeten des War teraums hing eine Unzahl prunkvoll gerahmter Fotografien, die allesamt Hunde zeigten. Große und kleine, dicke und dünne, schwarze, braune, weiße, gescheckte, gestromte Hunde. Hunde von vorne, Hunde von hinten, Hunde im Profil. Es waren Porträts und Ganzkörperaufnahmen, je nach dem Fellwuchs, je nach Gewichtung der Hundefrisuren.
    Die Dauerwelle lugte durch den Vorhang und nickte mir zu. »Des Frailein Puppi is no beim Föhna. S’ werd aba nimma lang braucha.«
    »Tut mir leid«, gab ich zurück. »Ich kann nicht mehr warten. Bringen Sie mir jetzt den Hund, Monsieur … Monsieur Fifi. Sofort.«
    »Aba …« Er starrte mich an wie ein Konditor, dem seine eigene Torte ins Gesicht geworfen wird. »Aba …« Ein weiterer waidwunder Blick. »I hol s’ glei ’naus«, sagte er dann resignierend.
    Keine zwei Minuten später übergab er mir die Leine – jene Leine, an deren Ende die feuchten, noch dampfenden Wollknödel Puppi von Haindlfings hingen, nach wie vor, oder besser: schon wieder in ihr rosa Dirndlkleid gezwängt.
    »Gehst fei’ mit dem Herrn da mit, mei Zamperl, gell?«, raunte er Puppi ins Ohr. Er würdigte mich keines Blickes mehr, als ich mit seiner – meiner – Patientin
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