Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halsknacker

Halsknacker

Titel: Halsknacker
Autoren: Stefan Slupetzky
Vom Netzwerk:
das Geschäft verließ.
    Ich hätte es gleich erledigen sollen. Mit dem Messer am besten. Ein sauberer Schnitt durch die Gurgel des Zeugen zunächst: unbezahlt zwar, aber doch ein notwendiger Kollateralschaden. Dann die Terminierung jener kynologischen Verirrung namens Puppi: Da gerade ihre lebenswichtigen Organe dicht bewachsen, also praktisch unzugänglich waren, wäre ein kräftiger Schlag auf den Schädel vonnöten gewesen, ehe ich sie fachgerecht gehäutet und ausgeweidet hätte. Ein hässlicher Tod: Das Fell als Fußabtreter vor die Tür, die Gedärme wie Faschingsgirlanden zwischen all den pompösen, mit betenden Putten besetzten Kerzenleuchtern drapiert, die den Warteraum schmückten. Ich hätte es gleich erledigen sollen. Dass ich es nicht tat, war ein folgenschwerer Fehler, der wohl nur der schwülstigen, barocken Atmosphäre des Friseursalons geschuldet war, die mir den Kopf vernebelte. Eines Salons, der ja per se nichts anderes war als ein Abbild der gesamten Stadt – ein kleines München im Großen sozusagen.
    Um zehn Minuten vor vier verfrachtete ich Puppi von Haindlfing auf den Rücksitz meines Wagens. Ich würde nun ein wenig durch die Gegend fahren und mir ein stilles Plätzchen suchen, an dem ich sie in aller Ruhe beseitigen konnte. Kaum aber hatte ich mich ans Steuer gesetzt, fiel mein Blick auf die Windschutzscheibe, die (ich rieb mir die Augen) frappant dem beschlagenen Milchglas einer Duschkabine ähnelte. Verfluchter Kirschbaum! Der Wagen war über und über mit Blüten und Baumharz bedeckt, die Fenster schlierig und verklebt: So konnte ich keinen Meter weit fahren.
    Ich stieg also abermals aus und begann, die Scheibe zu putzen. In meinem Beruf führt man stets einen Vorrat an Feuchttüchern mit sich; man weiß nie, was es alles zu reinigen gilt. Während ich schrubbte und rubbelte, wallte das rosafarbene Trachtenweib, Puppis Frauchen Frau Heringer, auf der anderen Straßenseite vorbei.
    Und Puppi schlug an.
    Es war kein Bellen, wie man es von Hunden kennt, sondern eher ein gepresstes Jaulen, das unerträglich hoch und gellend aus dem Wagenschlag drang. Ich schloss rasch die Tür und putzte weiter, indem ich so tat, als würde ich die fragenden Blicke Frau Heringers nicht bemerken. Sie war stehen geblieben und sah mit gerunzelten Brauen zu mir herüber. Dann aber ging ein Ruck durch ihren schwabbeligen Leib: Sie setzte sich jetzt wieder in Bewegung, nahm zusehends Fahrt auf und steuerte, die Straße querend, auf mich zu.
    Genug ist genug und zu viel ist zu viel. Selbst ein Profi kann manchmal die Nerven verlieren. Ich ließ das Feuchttuch fallen und sprang hastig ins Auto – in ein Auto, dessen Interieur ich nicht wiedererkannte …
    Mein erster Eindruck war der eines japanischen Gartens: Fingerdick lagen die Kirschblüten über den Boden, die Sitze, die Armaturen verteilt. Auch die Luft war von ihrem Gestöber erfüllt: Sie rieselten auf mich herab, als wäre ich in ein munteres Schneetreiben geraten, in einen fröhlichen Frühlingsflockentanz.
    Zwei Dinge machten mich allerdings stutzig. Erstens: Ich habe kein Cabrio. Zweitens: Die Blüten wiesen nicht das gleiche Rosa auf wie jene auf der Kühlerhaube. Nein, ihr Farbton spielte mehr ins Violette.
    Puppi hatte zu jaulen aufgehört. Sie lag auf dem Rücksitz, auf meinem zerfetzten Jackett, und kaute versonnen an Mittlers Phiole, Mittlers Magentabletten herum. Der Umschlag mit den zwanzigtausend Euro interessierte sie nicht mehr: Die zwanzigtausend Euro waren im wahrsten Sinn des Wortes Schnee von gestern. Violetter Schnee.
    Unwillkürlich griff ich nach dem Messer, doch im selben Moment wurde die Wagentür aufgerissen.
    »Jo, Kreizdaife! So a Hodalump!«
    Ehe ich wusste, wie mir geschah, hatte mich Frau Heringer am Hemdkragen gepackt und – unter Hervorbringung weitgehend unverständlicher Flüche – aus dem Auto gezerrt. Schon blieben die ersten Passanten stehen und scharten sich um meinen Wagen, und es dauerte nicht lange, da umringte mich eine undurchdringliche Phalanx aus Dirndln und Lederhosen.
    »Entfürn hod a s’ woin, der Saupreiß, der schiache! Entfürn! Mei Puppi! Der ausg’schamte Dreckhammel!«
    »A geh!«, »Schau o!«, »Iss wahr?«, wurden Stimmen im Publikum laut.
    »Wenn i’s sog! Du, geh her da!« Frau Heringer bedeutete einem jungen Mann im Lodenjanker, meine grob auf den Rücken gebogenen Arme festzuhalten. Dann wuchtete sie ihr gewaltiges Hinterteil auf den Fahrersitz und wandte sich schnaufend nach hinten, um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher