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Halbmondnacht

Halbmondnacht

Titel: Halbmondnacht
Autoren: Amanda Carlson
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mich.
    Ihre Rohheit war neu für mich. Sie schienen an meiner Haut zu zerren und zu reißen, ich fühlte mich, als würde mein ganzer Körper jucken. Meine Wölfin wurde unruhig, wanderte unaufhörlich in meinem Bewusstsein hin und her wie in einem Käfig. Niemals zuvor hatten mein Vater und ich so offen und ehrlich miteinander gesprochen von einem Erwachsenen zum anderen, auf gleicher Augenhöhe. In diesem Moment gab es nur uns zwei, es war so, als hätte die Welt jenseits dieser vier Wände aufgehört zu existieren.
    Mein Vater klang so überzeugt von dem, was er sagte. Über unsere Verbindung ging von seiner Gewissheit auch etwas auf mich über. Dennoch war das, was ich derzeit zu verdauen hatte, eine ganze Menge. »Also für mich ergibt die Prophezeiung immer noch keinen Sinn«, sagte ich schließlich. »Ich weiß nicht, vielleicht, weil ich mich nach wie vor normal fühle. Meinem Gefühl nach bin ich unverändert, weder übermächtig noch dazu gerüstet, für Gerechtigkeit auf Erden zu sorgen   – ganz besonders nicht unter den Übernatürlichen. Ich bin immer noch ich , nur dass ich jetzt eine leicht reizbare Wölfin im Kopf habe.« Wie um meine Worte zu unterstreichen, schnappte meine Wölfin in die Luft. Für mich deutlich hörbar schlugen ihre Kiefer aufeinander. Ja, doch, ich weiß, dass ich anders bin. Aber ich fühle mich nicht anders, sondern wie sonst auch. Ich habe nicht plötzlich vergessen, wer ich bin und woher ich stamme. So ist das nicht.
    »Jessica, ich weiß, das Ganze ist ein Schock für dich. Das ist es für mich auch, und ich bin ein Werwolf-Alpha. Wer und was du bist, ist beispiellos. Bevor wir also entscheiden, was unsere nächsten Schritte sein werden, brauchen wir, wie gesagt, mehr Informationen. Im Licht der letzten Entwicklungen, vor allem angesichts der Andeutungen, die die Prophezeiung macht, bin ich froh darüber, dass du vorerst die Stadt verlässt. Dann wirst du außer Sichtweite und angemessen geschützt sein, das ist exakt das, was ich will.«
    Schlagartig galten all meine Gedanken Rourke. »Gut, denn ich will unverzüglich los. Wenn ich zurück bin, sollten wir immer noch genug Zeit haben, um uns neu aufzustellen und herauszubekommen, was diese Geschichte zu bedeuten hat.«
    »Ich möchte dir keine Angst machen.« In seiner Stimme lag ein rauer Unterton, aus dem Furcht und Wut sprachen. »Aber du scheinst keine Vorstellung davon zu haben, welche Auswirkungen die Prophezeiung auf die Gemeinschaft der Übernatürlichen haben wird. Diese Neuigkeiten werden einschlagen wie eine Bombe. Eine Gemeinde wird argwöhnischer und massiver reagieren als die andere. Allenthalben werden Furcht und Schrecken unter den Übernatürlichen herrschen, egal welcher Art sie angehören. Wir können diese Reaktionen weder unterdrücken noch wegdiskutieren. Wir stellen uns dem und werden kämpfen. Wir werdenkämpfen müssen , bis man unsere Stärke und Macht fürchtet   – bis auch der Letzte, der glaubt, uns nicht fürchten zu müssen, davon überzeugt ist, dass wir die stärksten unter den Übernatürlichen sind. Das ist der einzige Weg, um die anderen Rudel und Gemeinden zum Einlenken zu bewegen. Es ist der einzige Weg, den Angriffen, die sich gegen dich richten werden, einen Riegel vorzuschieben.«
    Ich wusste, dass er recht hatte. Gerne hörte ich es trotzdem nicht. Mein ganzes Leben hatte ich gehofft und gebetet, dass die Wölfe meinetwegen niemals in den Krieg ziehen müssten. Immer hatte ich gefürchtet, der Kain-Mythos könnte Wirklichkeit werden   – die Vorstellung, ich könnte der Auslöser zur Vernichtung meiner Art sein, lastete von jeher schwer auf mir. Jetzt schien es, als wäre ein Krieg tatsächlich unausweichlich. Ironischerweise würden die Wölfe nicht gegen mich, sondern für mich kämpfen. Sie würden den Krieg zu meinem Schutz führen. Jedenfalls, wenn sie der Prophezeiung mehr Glauben schenken würden als dem Kain-Mythos. Das allerdings war keineswegs sicher. »Selbstverständlich tue ich alles, was notwendig ist«, sagte ich resigniert. »Mir bleibt ja keine andere Wahl. Ich kann mich nicht irgendwo für alle Zeiten verkriechen, ebenso wenig, wie ich aus meiner Haut in eine andere schlüpfen und einfach jemand anders sein kann.« Obwohl diese Möglichkeit momentan in meinen Ohren höchst verführerisch klang. »Wenn wir kämpfen müssen, folge ich dir als meinem Anführer.«
    Mein Vater nickte und wirkte dabei sehr entschlossen. Gleichzeitig aber war er sehr erschöpft,
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