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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau
Autoren: Bauer Angeline
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Gefühl beschlich Sébastien. Er wollte sich schon bedanken und gehen, als sie plötzlich nickte. »Warten Sie hier, Herr, ich hole den Hafer!«
    Sie schloß die Tür. Sébastien trat ein paar Schritte zurück und starrte auf das Fenster neben dem Eingang. Er spürte, daß ihn jemand beobachtete.
    »Verschwindet von hier«, warnte ihn eine innere Stimme, doch im selben Moment wurde wieder geöffnet, und die junge Bäuerin reichte ihm einen Eimer.
    Jacques füllte den Inhalt in die beiden Futtersäcke, die er den Pferden umhing, damit sie fressen konnten.
    »Wohin wollen Sie denn?« fragte die Frau, während Sébastien ihr ein paar Münzen in die Hand zählte.
    »Nach Belgien hinüber.«
    Sie nickte. »Ja, das dachte ich mir schon, aber es gibt zwei Wege.«
    »Welcher ist sicherer?«
    Sie schien nachzudenken. »Der Weg dort.« Sie deutete mit einer Kopfbewegung nach links. »Sie müssen über einen Bach, aber dort gibt es eine Brücke. Der andere Weg ist kürzer, doch er führt durch das Bachbett, und das ist versandet. Man bleibt leicht stecken, wenn man die Fahrrinne nicht kennt.«
    »Und die Grenze?« fragte Sébastien.
    »Grenze?« Sie zuckte die Schultern. »Fragt ein Reh oder ein Hase nach einer Grenze, wenn drüben oder herüben das Gras besser schmeckt?«
    Sébastien nickte. »Dann danke ich für die Auskunft und für den Hafer.«
    »Den Hafer haben Sie bezahlt.« Sie sah die Münzen in ihrer Hand an. »Dafür kann ich Ihnen auch noch ein paar Äpfel mitgeben. Wasser können Sie aus dem Brunnen nehmen.«
    Sébastien sah sich nach Mélanie um, die in der Kutsche geblieben war und sie beobachtete. Sie hatten seit gestern nichts mehr gegessen und waren alle hungrig und durstig. Doch ihm war dieses Gehöft nicht geheuer, er wollte so schnell wie möglich weg. »Danke, wir müssen weiter«, sagte er deshalb.
    Unvermittelt mischte sich Jacques ein. »Die Pferde brauchen dringend Wasser, Herr. Sie haben seit gestern nachmittag nicht mehr getrunken.«
    Sébastien nickte. »Ja, du hast recht.« Er wandte sich an die Bäuerin. »Wenn wir also Wasser für die Pferde nehmen dürften.«
    »Der Brunnen ist dort drüben.«
    Jacques holte einen Ledersack aus dem Kutschbock und tränkte die Pferde, während Sébastien sich umsah. Hinter dem Hof stand der Mais, er reichte bis zum Wald hinüber. Ein Tier schien im Feld zu sein, denn die Blätter bewegten sich. Plötzlich flogen zwei Rebhühner auf und mit Gekrächze Richtung Wald davon, und ein paar Hunde bellten hinterm Haus. Dann war es wieder still.
    Endlich war Jacques fertig. »Wir können fahren, Herr.«
    Sébastien wandte sich an die junge Frau. »Noch einmal danke, und Gott beschütze Sie.«
    »Den Gruß an Sie zurück, Herr.« Ein Grinsen zuckte um ihre Mundwinkel.
    Als er in der Kutsche saß und Jacques die Pferde antreten ließ, atmete Sébastien erleichtert auf.
    »Sie hat etwas Verschlagenes«, sagte Mélanie.

Das Ende
    Eine halbe Stunde hatten sie schweigend nebeneinander gesessen und aus dem Fenster gestarrt.
    Auf einmal legte Mélanie ihre Hand auf Sébastiens Arm und sah ihn an. »Worüber denkst du nach? Etwas bedrückt dich, ich spüre es.«
    »Über das Glück dachte ich nach.« Er nahm ihre Hand und küßte sie. »Darüber, daß jeder glückliche Augenblick mit einem Abschied verbunden ist, denn kein Moment, und sei er noch so schön, kehrt je wieder. Trotzdem werden wir nimmer satt, dem Glück nachzureisen, solange wir auf Erden sind.«
    »Also leben wir auch für den Abschied so sehr wie für das Glück?«
    »Wir müssen beides nehmen, das ist alles, was ich sagen wollte.«
    Plötzlich zog er sie an sich. Er küßte ihre Stirn, ihre Augen, ihre Lippen. Dann legte er eine Hand auf die Kiste, die neben ihr stand und die sie seit ihrer Abreise nicht einen Moment aus den Augen gelassen hatte. »Hierin ist Samuels Lebenswerk aufbewahrt. Du hast es verteidigt wie eine Löwin ihre Jungen, hast darin deine Lebensberechtigung gesehen, doch wofür wir tatsächlich gelebt haben, wissen wir doch erst im Augenblick des Todes.« Er sah sie zärtlich an. »Ich liebe dich, Mélanie. Ich weiß, dein Herz gehört allein Samuel, aber das schmälert meine Liebe nicht. Im Gegenteil – vielleicht liebe ich dich gerade darum so sehr, weil du dir und ihm ein Leben lang treu geblieben bist. Selbst in jener Nacht, als du in meinen Armen vielleicht ein ganz klein wenig glücklich warst, bist du ihm treu geblieben.« Er nickte. »Ich glaube, das war es auch, was deine Widersacher
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