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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau
Autoren: Bauer Angeline
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Er goß Wasser in die Schüssel und wusch sich das Gesicht, kämmte sich das Haar, schor sich das Kinn und schlüpfte in seine Kleider. »Ich werde unten auf dich warten«, sagte er, dann zog er die Tür hinter sich zu.
    Als Mélanie sich angekleidet hatte und ans Fenster trat, sah sie ihn mit Jacques einen Korb im Wageninneren verstauen. Sie lächelte, als er sich die Haare aus dem Gesicht strich, mit dieser Geste, die ihr so vertraut war, wie ihr alles an ihm vertraut war. Ein halbes Leben kannte sie ihn, und immer war er ihr treu zur Seite gestanden. Der Gedanke, daß sie bald auf dem Gut ihres Schwiegersohnes sein und Sébastien nach Paris zurückkehren würde, machte sie plötzlich traurig. Wenn sie auch nicht miteinander lebten und sich manchmal monatelang nicht sehen konnten, weil er in England war oder in Belgien oder in Südfrankreich, so gehörte er doch zu ihr, wie ein Paar Handschuhe zusammengehörten, die ohne einander nutzlos wären.
    Sie ließ den Vorhang sinken, nahm die Kiste mit dem Manuskript und ging hinunter. Susanne kam ihr aus der Stube entgegen. »Ich habe Speck und Eier gebraten, und einen Kuchen habe ich auch«, sagte sie. »Und Milchsuppe, wenn Sie möchten.«
    »Vielen Dank, Susanne. Etwas Ei und ein Stück Kuchen nehme ich gerne.«
    Mélanie aß und trank etwas von dem Kräutertee, dann ging sie hinaus.
    Jacques nahm ihr die Kiste mit den Manuskripten ab und befestigte sie mit einem Riemen im Wageninneren. Susanne stand daneben und sah ihrem Bruder zu. »Ob ich dich je wiedersehe?« fragte sie mehr sich als ihn, und schon wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Zwei Brüder habe ich bereits verloren!«
    »Rede doch keinen Unsinn, Susanne. Warum solltest du mich denn nicht wiedersehen.«
    »Weil es nicht gut ist für einen Franzosen, nach Deutschland zu fahren.«
    Erstaunt sah er sie an. »Woher weißt du, wo Darup liegt?«
    »Ich weiß es eben. Und ich weiß noch viel mehr, als du glaubst. Ich habe Madame Hahnemann erkannt.« Trotzig sah sie von ihm zu Mélanie.
    »Mach dir keine Sorgen, Schwester. Wir fahren über Belgien und die Niederlande. Deutschen Boden betreten wir kaum, das Gut liegt nicht weit von der Grenze.«
    »Er hat recht.« Mélanie gab Susanne die Hand. »Wir werden alle aufeinander aufpassen, das verspreche ich. Ich danke für die Gastfreundschaft, und verzeihen Sie uns die Lüge. Es war, um Sie zu schützen. Gott behüte Sie wohl – und mag der Krieg bald ein Ende haben.«
    Susanne seufzte. »Ja, das wünsche ich auch!«
    Mélanie und Sébastien stiegen in die Kutsche, Félix schloß die Tür hinter ihnen. Ein letztes Mal umarmten Bruder und Schwester sich, dann knallte Jacques mit der Peitsche, und die Rösser zogen an.
    Ein Stück weiter bog die Kutsche auf den Hauptweg ein. Als Mélanie aus dem Fenster sah, stand Susanne noch immer an der Haustür und sah ihnen nach. Sie winkte, und Mélanie winkte zurück. »… und daß der Krieg bald ein Ende haben möge«, flüsterte sie.

Das Gehöft
    Sie kamen nur langsam voran. Die Pferde waren erschöpft, und es gab kaum Futter für sie. Die Herbergen waren von Flüchtlingen überfüllt, und für ein Essen, das schlecht war, wurden horrende Preise verlangt. So gut es ging, ernährten sich Mélanie, Sébastien und Jacques darum aus dem Korb, den Susanne ihnen mitgegeben hatte. Geräucherten Schinken und Käse, Obst, Kuchen und Brot und etwas Wein hatte sie eingepackt. Am vierten Tag jedoch waren die Vorräte aufgebraucht, und sie mußten froh sein, wenn sie irgendwo eine verkochte Kohlsuppe bekamen. Nun waren es höchstens noch ein paar englische Meilen bis zur Grenze. Bald würden sie in Sicherheit sein.
    Die letzte Nacht hatten sie in einer Scheune bei einem Dorf namens Wormhout verbracht. Kaum erholt und hungrig machten sie sich in den frühen Morgenstunden wieder auf den Weg. Als sie an einem Einödhof vorbeikamen, hielten sie an, und Sébastien klopfte, um nach dem Weg zu fragen.
    Die Bäuerin, die ihm öffnete, war jung und hübsch. Sie hatte blondes Haar und dralle Brüste, die halb aus der Bluse quollen.
    Die Frau grinste ihn wissend an, als Sébastian den Blick wieder hob und in ihre Augen sah. »Was ist, Herr – wir haben nichts zu essen, falls Sie das wollen!«
    »Nein, wir brauchen nichts. Ich will nur nach dem Weg fragen. Und wenn Sie Hafer für die Pferde hätten – natürlich bezahle ich dafür.«
    »Hafer – so, so.« Es war ihm, als würde die Frau ins Dunkel des Flures lauschen. Ein mulmiges
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