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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau
Autoren: Bauer Angeline
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Augen.
    »Und doch bin ich dankbar, Liebster, daß ich dich traf und von dir geliebt wurde, denn du warst das Beste in meinem Leben und gabst mir mehr, als mir je ein anderer hätte geben können. Ich danke dir, Samuel, und ich liebe dich auf ewig.«
    Sie ging vor dem Sarkophag in die Hocke und legte ihre Wange auf den Stein, so als wollte sie hineinhorchen in die grausame Stille des Todes. »Und jetzt kommt ein neues Leid hinzu«, flüsterte sie, »ich muß dich verlassen und dieses Land, in dem ich und all meine Ahnen geboren wurden. Und wer weiß, ob mein Besitz über den elenden Krieg hinweg gerettet werden kann. Nicht mehr viel ist mir geblieben, aber es war doch immer noch genug, daß ich mich mühevoll am Leben erhalten konnte, solange ich bescheiden war. Doch jetzt scheint auch das noch verloren. Und ich selbst bin ausgezehrt an Leib und Seele und müde von einem Leben voller Arbeit, für die ich doch nie erhalten durfte, was mir zustand. Weder Geld noch Achtung oder Anerkennung.«
    Sie richtete sich wieder auf. Ihre Hand lag auf dem Sarkophag, ihren Blick hatte sie auf den Stein gerichtet, als könnte sie durch ihn hindurch auf die verworrenen Jahre ihres Lebens blicken. Erst als das Trappeln von Pferden zu hören war und ein leiser, mahnender Ruf nach ihr, schreckte sie auf und lauschte hinaus.
    »Du hörst es selbst, Liebster, ich muß gehen. Sébastien wird mich begleiten, und er befürchtet das Schlimmste.« Sie küßte den kalten Stein. »Dein auf immer«, flüsterte sie. Tränen liefen über ihre Wangen, als sie sich wieder aufrichtete.
    Ein letzter Blick auf die anderen Särge, ein letztes Adieu, dann verließ Mélanie die Gruft.
    Sébastien war bereits ausgestiegen und wartete neben der Kutsche. Er öffnete für sie die Tür, half ihr hinein und setzte sich dann neben sie. »Damit die Pferde nicht auskühlen, haben wir eine kleine Runde gedreht. Am Jardin du Calvaire bei St. Pierre trafen wir auf eine Gruppe von Soldaten, die nach Aufständischen suchten, und wir hörten, daß es wieder Straßenkämpfe gibt. Vom Louvre herauf hallten Schüsse, und wir sahen ein Feuer in der Nähe der Place de la Concorde. Die Situation wird stündlich gefährlicher! Wir müssen sehen, daß wir möglichst schnell aus der Stadt kommen.«
    Mélanie hatte schweigend zugehört. Nun legte sie ihren Kopf an Sébastiens Schulter und schloß die Augen. »Mag Gott uns beistehen, wenn es einen gibt«, sagte sie leise.
    Sie konnten die Stadt über den Montmartre unbehelligt verlassen. Doch als sie gegen Abend bei Mouy die Thérain überqueren wollten, gerieten sie in einen Hinterhalt von Aufständischen. Es war eine Gruppe junger Männer in zerfetzten Kitteln und Hosen, dreckverschmiert und außer Rand und Band. Ein Rothaariger sprang so plötzlich vor die Kutsche, daß der Kutscher sich in die Zügel stemmen mußte, um das Gefährt anzuhalten.
    »Los, aussteigen!« brüllte ein anderer und riß den Wagenschlag auf. Er war noch jung, kaum siebzehn Jahre alt.
    Mélanie hatte mit ihren langen Röcken Mühe, ohne helfende Hand aus der Kutsche zu kommen. Weil es dem Kerl nicht schnell genug ging, packte er sie am Arm und zerrte an ihr, daß sie fast zu Fall gekommen wäre. »Papiere her!« Er fuchtelte mit einem Bajonett vor ihrer Nase herum.
    Mélanie sah Sébastien an, griff dann zögernd in ihren Beutel, um das Ausweispapier zu suchen. Ihre Hände zitterten dabei, die Angst trieb ihr kleine Schweißperlen auf die Stirn. Ihr war klar, dieser Junge hatte keinerlei Respekt und würde, wenn er ihren deutschen Namen las, nicht lange fackeln und sie aufspießen wie einen armseligen Wurm.
    Schon fühlte sie das Papier zwischen den Fingerspitzen, als plötzlich Sébastien vorsprang und den Kerl am Kragen packte. »Du scheinst nicht zu wissen, wen du da vor dir hast«, fauchte er ihn an. »Es ist die Marquise Mélanie d'Hervilly-Gohier, die Witwe Louis-Jérôme Gohiers, eines Politikers, der in Frankreich bereits für Recht und Freiheit eintrat, noch bevor du Lümmel in die Hosen machen konntest! Und du erdreistest dich, dir von einer Dame wie ihr die Papiere vorführen zu lassen? Schäm dich, verdammter Windbeutel!« Er ließ den verdutzten Jungen so plötzlich wieder los, daß der ins Wanken kam und gegen einen seiner Kumpane taumelte.
    Vielleicht waren es Sébastiens Worte, vielleicht seine wilde Entschlossenheit oder die unerwartete Kraft, mit der ein alter Mann sich gegen einen jungen Bewaffneten stellte – jedenfalls drängte sich
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