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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau
Autoren: Bauer Angeline
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Journalen hinaus, und sorgt dafür, daß alles sicher verladen wird. Diese Kiste –« Mélanie deutete auf eine kleinere Kiste, in der sich Samuels Briefe und das überarbeitete Manuskript zur sechsten Auflage des Organon befanden – »möchte ich im Wageninneren bei mir haben.«
    »Ja, Madame.« Anne-Marie knickste. »Ich werde dafür sorgen.«
    Das Mädchen hatte Tränen in den Augen. Mélanie legte ihr die Hand auf den Arm. »Na, nun weine doch nicht. Bald scheint die Sonne wieder über Paris, und du wirst deinen Weg schon finden.«
    »Weiß nicht, vielleicht. Aber der Krieg … und ich wäre viel lieber bei Ihnen geblieben.«
    »Ja, der Krieg.« Mélanie seufzte. Sie nahm das Mädchen und den alten Mann in den Arm.

Am Grab
    Mélanie stieg aus der Kutsche. Das letzte Stück bis zu Samuels Gruft wollte sie zu Fuß gehen. Es regnete. Sie spannte ihren Schirm auf, trat zur Seite und ließ die Kutsche wenden. Am Fenster saß Sébastien. Sie sahen sich für einen kurzen Moment in die Augen, dann drehte sich Mélanie um und ging über die Friedhofsallee davon.
    Eine Weile lang hörte sie noch den Schritt der Pferde und das Rattern der Räder, das von den Gräbern widerhallte, dann war es still, und sie war mit den Toten allein.
    Ihr Blick fiel auf einen lebensgroßen Marmorengel, der seine Hände gen Himmel streckte. Tropfen rannen über sein Gesicht, als würde er weinen. Daneben saßen in einer Gruft drei Katzen und starrten sie an, eine vierte hatte sich in einen kleinen Schrein gezwängt und leckte sich das nasse Fell. Der Anblick tröstete Mélanie. Auch wenn sie nicht mehr auf den Friedhof kommen und Samuel besuchen konnte, würde er nicht alleine sein.
    Obwohl es regnete und kühl war, ging sie ohne Hast und sah sich ein letztes Mal die Gräber an. Die Jahre waren auch an ihnen nicht spurlos vorübergegangen. Manche, die anfangs gepflegt wurden, waren mit der Zeit mehr und mehr verwildert. Auf anderen waren Grabsteine ausgetauscht worden, oder neue Namen waren hinzugekommen, und andere Menschen als zuvor pflanzten Blumen und weinten an ihnen.
    So früh am Morgen und bei strömendem Regen war jedoch außer Mélanie und den Katzen niemand hier.
    Sie hatte die Gruft erreicht, öffnete das Schloß und schlüpfte hinein. Ein Vogel flatterte aufgeschreckt davon, dann war es still – nur noch der Regen plätscherte leise vor sich hin.
    Vier Männer lagen hier, die in ihrem Leben eine Bedeutung gehabt hatten. Ihr Vater Joseph d'Hervilly, ihr Pflegevater Guillaume Lethière, ihr Mentor und Freund Louis-Jérôme Gohier und ihr Mann. Sie ging von einem zum anderen, legte kurz eine Hand auf den kalten Stein der Sarkophage und blieb dann vor Samuel stehen.
    »Da bin ich, Liebster«, flüsterte sie, »und heute vielleicht zum letzten Mal, bevor wir uns in deiner Welt wiederbegegnen. Die Zeiten sind düster, die Menschen bekriegen sich, und ich bin gezwungen, dein Lebenswerk in Sicherheit zu bringen. Diesmal nicht vor dem Haß und dem Neid deiner Widersacher, sondern vor den Menschen, die die Liebe verloren haben und darum nach dem Vaterland schreien.«
    Mélanie seufzte. »Vielleicht wäre auf dieser Welt alles viel besser, wenn man ein Land ein Mutterland sein ließe, aber immer noch gelten die Frauen nichts, obwohl Männer doch ohne sie verloren wären. Wer sonst würde ihre Kinder gebären? Ihre Seelen vergolden? Ihre Körper streicheln? Wen würden sie lachen hören, bei all den Kriegen, die sie führen? Wer würde Haus und Hof bestellen, während sie sich die Köpfe einschlagen und anderer Männer Häuser anzünden und Frauen schänden?«
    Plötzlich lachte sie auf. »Ja, du hörst es, Liebster, so alt bin ich nun schon und noch immer nicht bereit, dem Manne Untertan zu sein, wie man es ein Leben lang von mir gefordert hat. Sie haben mich verklagt und vor Gericht gezerrt. Sie haben mir verboten, das zu tun, was ich besser konnte als sie selbst. Sie haben mich ausgeschlossen und bekämpft, beschimpft und gedemütigt und sich sogar erdreistet, mich in deinem Namen mit Füßen zu treten! Wenn du wüßtest, haben sie gesagt, wie ich mit deinem Vermächtnis umgehe, du würdest dich im Grabe umdrehen! Dabei tat ich doch nur, was mir von dir aufgetragen wurde. Und das alles mußte ich erleiden, nur weil ich eine … deine Frau bin.«
    Ihre Worte hallten von den Wänden der Gruft wider wie das Flüstern des Windes in einem halbverfallenen Haus. Sie seufzte und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den
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