Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom
Autoren: Lucie Flebbe
Vom Netzwerk:
Büschen, die dem Platz das Flair der sibirischen Tundra
verliehen. Ein Wunder, dass dort unten im ewigen Schatten der Gebäude überhaupt
irgendeine Art von Vegetation überleben konnte.
    Ich merkte erst, dass die Kaffeetasse in meiner Hand bedenklich
wackelte, als die lauwarme Flüssigkeit über meine Finger lief.
    Ã„rgerlich stellte ich das Gefäß auf das Fensterbrett. Der
Kaffee war dünn und ungenießbar. Und ich trank sowieso lieber Tee. Hatte ich
jedenfalls früher mal. Doch um nicht völlig ohne Rauschmittel auskommen zu
müssen, hatte ich mir mit suchtartiger Gier Kaffee zum Frühstück bestellt.
    Ohne anzuklopfen, kam Schwester Gundel herein. Sie
streifte mich mit einem prüfenden Blick, während sie auf das zweite Bett im
Zimmer zumarschierte. Meine Bettnachbarin, eine dicke Oma mit Dauerwelle und
hochroten Pausbacken, trug ein rosa Rüschennachthemd und stopfte sich eilig den
Rest eines Käsebrötchens in den Mund.
    Schwester Gundel schnitt eine verzerrte Grimasse. Vermutlich
hätte das ein missbilligendes Augenbrauenzusammenziehen werden sollen, aber sie
hatte keine Augenbrauen. Die kahle Stirn ließ ihr Gesicht rund wirken. Überhaupt
schien ihr kugeliger Kopf nicht auf ihren mageren, kleinen Körper zu passen.
Sie sah aus wie eine falsch zusammengesetzte Puppe.
    Â»Hat Frau Busch Ihnen das Frühstück abgeschwatzt, Frau
Ziegler?«
    Ich zuckte gleichgültig die Schultern.
    Schwester Gundel stemmte die Hände auf das knochige
Becken und blickte die dicke Oma Busch strafend an: »Eine der Ursachen für
Ihren Hinterwandinfarkt ist Ihr Übergewicht, Frau Busch. Ich dachte, das hätten
Sie mittlerweile begriffen.«
    Oma Busch schluckte das nur halb zerkaute Brötchen hastig
hinunter, als fürchtete sie, Schwester Gundel könnte ihr im nächsten Moment einen
Daumen in den Mund stecken und den Speisebrei wieder herauspulen.
    Ich betrachtete den kurzen Pferdeschwanz, zu dem die
Krankenschwester ihre grauen Haarbüschel zusammengebunden hatte.
    Als hätte sie meinen Blick gespürt, drehte sie sich zu
mir herum: »Haben Sie überhaupt was gegessen?«
    Â»Ich hatte einen Kaffee.«
    Sie war so klein, dass selbst ich auf sie hinabsehen
konnte. Sie schüttelte den Kopf, während sie einen Blick auf den
Infusionsbeutel mit der Kochsalzlösung warf, die durch einen durchsichtigen
Schlauch in meinen Arm lief. »Wie geht es Ihnen?«
    Ich zuckte die Schultern.
    Â»Schwindel?«
    Â»Bisschen.«
    Schwester Gundel klemmte die Infusion ab und klebte einen
Pflasterstreifen über die Nadel, die in meiner Armbeuge stecken blieb.
    Â»Können Sie sich allein waschen? Duschen?«
    Ich nickte.
    Â»Dann wird es höchste Zeit, dass Sie das mal machen.«

    Â 

5.
    Es gab nur ein Waschbecken im Zimmer, zur Dusche musste ich
über den Flur laufen.
    Der Flur war mintgrün gestrichen. Und lang. Auf dem
unempfindlichen, grauen PVC-Boden zog sich mittig ein handbreiter Klebestreifen
entlang, farblich passend zu den knallroten, elektrischen Kerzen des
Adventskranzes, der an der Flurdecke vor dem Schwesternzimmer schwebte. Mein
Zimmer lag ziemlich am Ende des Ganges. Neben einer Sitzgruppe unter dem
Fenster in der Ecke bemerkte ich einen meterhohen Weihnachtsbaum und einen
Kaffeeautomaten. Ich nahm mir vor, herauszufinden, ob das Ding was
Genießbareres ausspuckte als die braune Frühstücksbrühe.
    Einige Augenblicke lang beobachtete ich, wie die Schwestern
und Serviererinnen in grünen Schürzen die Frühstückstabletts aus den Zimmern
einsammelten, um sie in einem Wagen auf dem Flur zu verstauen. Dann setzte sich
der Geschirrwagen von allein in Bewegung und verschwand durch die sich selbst
öffnende Tür am Ende des Flures. Während ich weiter zur Dusche schlurfte,
überlegte ich, ob das eine drogenbedingte Halluzination gewesen sein könnte.
    Humpelnde Gestalten schoben Infusionshalter oder andere
Apparate an mir vorbei. Alle waren sehr viel älter als ich.
    Die Dusche war heute bereits benutzt worden. Mehrmals. Die
Wände waren feucht und der Fußboden voller Haare. Ich warf ein Handtuch auf die
Fliesen. Aber wahrscheinlich waren die meisten der über den Flur Humpelnden
auch nicht begeistert davon, die Dusche mit mir teilen zu müssen.
    Minutenlang ließ ich dampfend heißes Wasser auf meinen
Rücken prasseln. Ich genoss, wie mit der Kälte auch die Angst aus meinem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher