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Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom
Autoren: Lucie Flebbe
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Kopfnicken auf das Plastikschild am Fußende meines Bettes, wo mein Name
ebenfalls stand.
    Â»Ah, Frau Ziegler, ja ja.«
    Ich ahnte allmählich, warum die Ärztin die Visite nur unter
Aufsicht einer Krankenschwester machen durfte. »Sie hier wegen Alkoholabusus
und Drogenmissbrauch. Die einzige Grund, warum Leute unter fünfzig sind auf
diese Station.«
    Ich schwieg.
    Oma Busch im Nebenbett blinzelte über ihren rosa Rüschenkragen
hinweg. Ihre Begeisterung, mit einem Junkie das Zimmer zu teilen, hielt sich in
Grenzen.
    Â»Blutwerte gut?«
    Â»Jawoll!« Gundel salutierte zackig.
    Â»Wir noch mal geben die NaCl«, beschloss die Ärztin, deren
Namen ich noch immer nicht kannte und die offensichtlich auch gar nicht mit mir
reden wollte. Vielleicht hätte sich das geändert, wenn sie gewusst hätte, dass
ich kapierte, was sie sagte. Dank meines großen Latinums und der unzähligen
Krankenhausaufenthalte, die mir mein Vater verschafft hatte, verstand ich nicht
nur das Kürzel der in Infusionen verwendeten Kochsalzlösung, sondern auch die
meisten anderen Begriffe der Medizinersprache.
    Â»In zwei, drei Tagen sie kann nach Hause«, informierte
die Ärztin alle Personen im Zimmer, klappte meine Akte zu und hielt sie Gundel
hin, während sie sich schon abwandte.
    In dem Moment flammte ohne jede Vorwarnung der Schmerz wieder
auf.
    Die Ärztin bemerkte nicht, dass ich zusammenzuckte, sie
wieselte bereits auf die Tür zu. Der Pfleger mit der Igelfrisur und Gundel
mussten sich beeilen, um nicht zurückzubleiben.

    Verkrampft hielt ich den Atem an, krallte die Fingernägel
meiner rechten Hand in die Innenseite meines linken Unterarms, wo sie blaurote,
sichelförmige Abdrücke hinterließen.
    Ich hatte ein offensichtliches Drogenproblem, ich neigte
dazu, mich selbst blutig zu kratzen, und ich hatte die Nacht auf dem Dach eines
Hochhauses verbracht – und die wollten mich ernsthaft nach Hause schicken?
    Ich hatte kein Zuhause, verdammt!
    Eine junge Putzfrau mit hellblond gebleichten Haaren,
Nasenpiercing und für eine Kloreinigung übertriebenem Make-up tauchte auf,
wischte den Fußboden, die Nachttische und das Waschbecken und war nach gefühlten
drei Minuten wieder verschwunden.
    Als das Mittagessen gebracht wurde, schob ich das Tablett
weg, ohne unter die Warmhaltehaube gesehen zu haben.
    Am Nachmittag war das Beben meiner Hände so stark, dass
mir Schwester Inez von der Spätschicht die verordnete Infusion verabreichte.

    Â 
    In der Nacht wälzte ich mich im Bett hin und her.
Ich war schweißgebadet, hatte Magenkrämpfe und die Übelkeit ließ mich
ununterbrochen würgen.
    Daran änderte auch die Magentablette, die man mir in
einem Plastikbecher zusammen mit dem Essen hingestellt hatte, nichts. Auf
meinen Hinweis, dass meine Beschwerden nichts mit meinem Magen zu tun hätten,
dass dieses Organ vollkommen gesund sei, hatte die Schwester geantwortet: »Die
kriegt jeder. Ist Standard.«
    Oma Busch schnarchte, in einem der Nebenzimmer klingelte
ein Schwerhöriger mit Blasenschwäche alle halbe Stunde nach der Nachtschwester,
um sie anzubrüllen, und um halb drei landete der Rettungshubschrauber.
    Mein überreiztes Nervensystem ließ mich beim kleinsten
Geräusch hochschrecken und atemlos lauschen. Mein Herz klopfte und kalter
Schweiß stand mir auf der Stirn, während ich schon wieder am ganzen Körper
zitterte. Ich rollte mich unter der Decke zusammen, zog sie mir über den Kopf
und wartete darauf, dass es endlich Morgen wurde.

    Â 

6.
    Irgendwann musste ich doch in einen kurzen Schlaf gefallen
sein, denn ich wachte davon auf, dass Schwester Gundel die Gardinen zur Seite
schob.
    Â»Na, wie geht’s uns heute Morgen?«, flötete sie provozierend
gut gelaunt.
    Wütend wurschtelte ich mich unter der Decke hervor.
    Gundel musterte mich und wieder irritierten mich ihre
fehlenden Augenbrauen. »Sie kriegen besser noch eine Infusion.«
    Ich antwortete nicht.
    Meine Gedanken hämmerten auf mein Gehirn ein.
    Ich hatte ein Drogenproblem. Ich verletzte mich selbst.
Ich hatte keine Freunde, keine Familie, kein Zuhause. Ich war am Ende. Schon
wieder bohrte ich die Fingernägel in meine Haut.
    Nach dem Frühstück kam die Infusion und nach der Infusion
kam die Putzfrau und lenkte mich ab.
    Ich blickte auf die Uhr, als sie das Zimmer betrat. Während
sie, ohne aufzusehen, den Boden wischte,
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