Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom
Autoren: Lucie Flebbe
Vom Netzwerk:
die vorbereitete Spritze zwischen die Zähne und zerrte mit einem harten
Ruck die Schlinge um meinen Oberarm fest.
    Â»Leider konnte ich nichts mehr für Sie tun«, sprach er
mit der tödlichen Injektion zwischen den Zähnen weiter. Mit einem Wattebausch
wischte er meine Armbeuge ab. »Na ja, Sie waren ja vor zwei Wochen erst zum
Drogenentzug auf der Inneren. Jammerschade, dass sich immer mehr junge Leute
selbst hinrichten.«
    Er nahm die Spritze aus dem Mund.
    Im gleichen Augenblick brach das elektronische Schloss
auseinander, die Bürotür krachte splitternd gegen die Wand.
    Dann flog Gott weg von mir gegen den Schreibtisch.
    Danner ging neben mir in die Knie. Behutsam strich er mir
die Haare aus der Stirn.
    Ich merkte, dass ich wieder bewusstlos wurde, doch diesmal
wehrte ich mich nicht dagegen. Im Gegenteil, es war so bequem, endlich die
Augen schließen zu können.
    Ich dachte noch, dass es vielleicht ganz einfach war, zu
sterben. Viel weniger anstrengend, als immer wieder die Augen zu öffnen und
irgendwie weiterleben zu müssen …

    Â 

45.
    Einige Tage später hockte ich morgens um fünf auf der Kante
meines Krankenhausbettes. Gott und Adolf saßen in Untersuchungshaft und ich
hatte die schlimmsten Nachwirkungen der Digitalisüberdosis hinter mir. Meine
wenigen Sachen hatte ich bereits in den Rucksack gepackt. Nur die Tupperschüssel,
in der Molle eine Riesenportion Käsespätzle angeliefert hatte, stand noch auf
dem Nachtschrank. Meine Werte waren stabil, rechtzeitig zum Heiligen Abend
konnte ich gehen.
    Doch eine letzte Sache musste ich vorher noch erledigen.
    Ich drehte meine Schlüsselkarte zwischen den Fingern. Es
war die geklaute Ersatzkarte aus meinem Abteilungsleiterbüro im Keller, die
legale Schlüsselkarte hatte mir der pummelige technische Leiter bereits
abgenommen.
    Ich spielte mit dem Gedanken, die Karte mitgehen zu lassen.
Man wusste ja nie, wofür es gut war.
    Andererseits hatte ich nicht vor, in nächster Zeit noch
einmal hierherzukommen.
    Ich stand auf, schlüpfte in meine Turnschuhe und machte
mich ein letztes Mal auf den Weg in den Keller.
    So früh am Morgen war der Flur gewohnt dunkel.
    Einen Augenblick lang wartete ich auf mein altes Albtraumgefühl.
Es kam nicht.
    Dann lenkte mich der schmale Lichtschein ab, der durch
die Spalte unter der Tür des Abteilungsleiterinnenbüros auf den Flur fiel.
    Drinnen brannte Licht! Wer war morgens um sieben Minuten
nach fünf in meinem Büro? Es gab eigentlich nur eine Möglichkeit.
    Ich drückte mein Ohr an das Türblatt. Im Raum schepperte
es blechern. Ich nutzte den Krach, um meine Schlüsselkarte möglichst leise
durchs Schloss zu ziehen.
    Nachdem ich die Tür vorsichtig einen Spalt weit aufgeschoben
hatte, entdeckte ich Viktoria Lebrecht, die hastig einen durch den Raum
kullernden Blecheimer aufhob und wieder ins Regal stellte. Dabei stieß sie
einige Putzmittelflaschen um.
    Sie nahm die Flaschen und stopfte sie in eine große Tasche.
Es folgten drei Packungen Scheuerlappen, Schwämme, Bürsten, ein Handfeger und
ein Kehrblech.
    Ich öffnete die Tür ganz. »Guten Morgen, Vicky!«
    Viktoria ließ vor Schreck ihre Tasche fallen und Scheuerlappen,
Schwämme, Bürsten, Handfeger und Kehrblech polterten zu Boden.
    Â»Lila – ich – äh –« Die Dicke lief knallrot an und
starrte auf das Chaos vor ihren Füßen.
    Ich betrachtete ebenfalls die aus ihrer Tasche hervorquellenden
Reinigungsmaterialien.
    Â»Du klaust Scheuerlappen?«, schlussfolgerte ich. »Warum?«

    Â»Zum Putzen«, stammelte Viktoria kleinlaut.
    Aha. Logisch.
    Â»Ich brauche auch zu Hause Lappen und so. Aber das Geld
reicht nicht, deshalb …«
    â€¦ bediente sie sich hier. Ich erinnerte mich an den Eintrag
in ihrem Behindertenausweis, über den ich mich damals amüsiert hatte:
Putzzwang.
    Viktoria putzte nicht nur in der Klinik, so viel sie
konnte. Wenn sie nach Hause kam, machte sie weiter. Natürlich reichten die
sechshundert Euro, die sie im Monat verdiente, gerade zum Überleben. Eine
Putzmittelmenge, mit der sie eine ganze Kolonne Raumpflegerinnen hätte ausrüsten
können, konnte sich Viktoria nicht leisten. Aber hier konnte sie sich bedienen
wie eine Maus an der Käsetheke.
    Â»Ich nehme nur was, wenn mein Geld alle ist, ehrlich. Ich
hab’s Janna versprochen, nur noch, wenn das Geld alle ist.«
    Â»Janna hat
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher