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Haben oder Nichthaben

Haben oder Nichthaben

Titel: Haben oder Nichthaben
Autoren: Ernest Hemingway
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war. Wenn sie nicht instinktiv gespürt hätten, daß er die Nerven verloren hatte, daß also einer von ihrer Bande nicht mehr in Ordnung war, und wenn sie nicht den für die Reichen charakteristischen Wunsch gehabt hätten, ihn loszuwerden, da es unmöglich war, ihn zu vernichten, dann wäre er nicht so tief gesunken, die Gastfreundschaft von Wallace Johnston anzunehmen. Wie dem auch war, Wallace Johnston mit seinen recht eigenartigen Neigungen war Henry Carpenters «letztes Gefecht», und mit dem ehrlichen Bemühen, diese Beziehung zu beenden, der hieraus entstehenden Brutalität im Ausdruck und der Unbeständigkeit seiner Haltung intrigierte und verführte er den anderen, der in Henry Carpenters Alter war und den ständige Willfährigkeit leicht gelangweilt haben könnte, so daß er seine Stellung besser, als er es wußte, verteidigte. Auf diese Weise schob Henry Carpenter seinen unvermeidlichen Selbstmord um Wochen, wenn nicht um Monate auf.
    Das Geld, mit dem es ihm nicht zu leben lohnte, waren 170 Dollar mehr im Monat als das, mit dem Albert Tracy, ein Fischer, vor drei Tagen, zur Zeit seines Todes, seine Familie erhalten hatte.
    An Bord von anderen Yachten, die an den Piers lagen, waren andere Leute mit anderen Problemen. Auf einer der größten Yachten, einem hübschen schwarzen, wie ein Schoner getakelten Dreimaster, lag ein sechzigjähriger Getreidemakler wach und machte sich Sorgen, und zwar über den Bericht, den er von seinem Büro über die Tätigkeit der Wirtschaftsprüfer der staatlichen Steuerbehörde erhalten hatte. Gewöhnlich hatte er sonst zu dieser Nachtzeit seine Sorgen mit Scotch Highballs vergessen und einen Zustand erreicht, wo er sich den Folgen gegenüber so zäh und gleichgültig gefühlt hatte wie irgendeiner von den alten Piratenbrüdern von der Küste, mit denen er, was Charakter und Moral anlangte, tatsächlich viel gemein hatte. Aber sein Arzt hatte ihm für einen Monat allen Alkohol verboten, für drei Monate eigentlich; das heißt, man hatte ihm gesagt, daß es ihn in einem Jahr ins Grab bringen würde, wenn er nicht wenigstens drei Monate lang allen Alkoholgenuß aufgeben würde. Darum beschloß er, einen Monat lang nichts zu trinken, und jetzt machte er sich Gedanken über den Besuch, den ihm die Behörde abgestattet hatte, bevor er die Stadt verließ. Man hatte ihn genau befragt, wo er hinfahren wollte, und ob er vorhabe, die Hoheitsgewässer der Vereinigten Staaten zu verlassen.
    Er lag jetzt in seinem Pyjama auf seinem breiten Bett, mit zwei Kissen unter dem Kopf, mit der Leselampe an, aber er konnte seine Gedanken nicht auf das Buch, einen Reisebericht über Galapagos, konzentrieren. Früher hatte er sie nie in dies Bett gebracht. Er hatte sie in ihren Kabinen gehabt, und nachher ging er in dies Bett. Dies hier war seine Staatskabine, so privat wie sein Büro. Er wollte keine Frau in seiner Kabine. Wenn er eine wollte, ging er zu ihr, und wenn er’s hinter sich hatte, hatte er’s hinter sich, und jetzt, wo er’s auf immer hinter sich hatte, besaß sein Gehirn immer dieselbe klare Kühle, die früher eine Nachwirkung gewesen war. Und er lag jetzt ohne jede freundliche Vernebelung da, weil ihm der künstlich fabrizierte Mut versagt war, der so viele Jahre lang seinen Verstand beschäftigt und sein Herz gewärmt hatte, und zerbrach sich den Kopf, was die Behörde wußte, was sie gefunden hatten und woraus sie ihm einen Strick drehen würden, was sie wohl als normal akzeptieren würden und was sie wohl als Steuerhinterziehung ansehen würden, und er hatte keine Angst vor ihnen, sondern haßte nur sie und die Macht, die sie so schamlos benutzen würden, so daß all seine eigene, harte, kleine, zähe und stete Schamlosigkeit, die das einzige von Dauer war, das er erworben hatte und das wirklich was wert war, zerlöchert werden würde, ja, und wenn man ihm je Angst einjagen konnte, sogar vernichtet.
    Er dachte nicht in Abstrakta, sondern in Käufen und Verkäufen, in Überschreibungen und Schenkungen. Er dachte in Aktien, in Ballen, in Tausenden von Scheffeln, in Optionen, in Dachgesellschaften, Trusts und Tochtergesellschaften, und als er alles durchging, wußte er, daß die reichlich genug hatten, um ihm jahrelang keine Ruhe zu lassen. Wenn sie sich nicht mit ihm verglichen, war es sehr schlimm. Früher hätte er sich keine Sorgen gemacht, aber das Stück Kampfnatur in ihm war jetzt müde, gemeinsam mit dem anderen, und jetzt war er mit alldem hier allein, und er lag auf dem
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