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Haben oder Nichthaben

Haben oder Nichthaben

Titel: Haben oder Nichthaben
Autoren: Ernest Hemingway
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bleiben, aber ich weiß, das ist mehr, als er ertragen kann. Ich schäme mich, und ich bin mir selbst zuwider, und ich verabscheue das, was ich getan habe. Es kann auch alles schlimm ausgehen. Aber daran darf ich nicht denken. Ich werde jetzt zu dem Betäubungsmittel zurückkehren, das ich seit siebzehn Jahren benutzt habe, und das ich nun nicht mehr viel länger brauchen werde. Obschon es wahrscheinlich jetzt ein Laster ist, für das ich nur Entschuldigungen erfinde. Es ist aber wenigstens ein Laster, das meiner Natur entspricht. Aber ich wünschte, ich könnte dem armen Mann, dem ich Unrecht antue, helfen.
    «Fahren Sie mich zu Freddy zurück», sagte er.

15
    Der Küstenschutzkutter, der die ‹Queen Conch› im Schlepptau hatte, kam die Fahrrinne zwischen dem Riff und den Keys herunter. Der Kutter schlingerte in der quergehenden, kurzen See, die der schwache Nordwind in der entgegenstehenden Flut erzeugte, aber das weiße Boot ließ sich leicht und gut schleppen.
    «Wenn es nicht stürmt, kriegen wir es heil herein», sagte der Küstenschutzkapitän. «Es läßt sich wirklich gut schleppen. Der Robby hat gute Boote gebaut. Hast du irgendwas von dem Gefasel verstanden, das der da geredet hat?»
    «Ich kann mir keinen Vers daraus machen», sagte der Steuermann. «Er redet ganz irre.»
    «Wahrscheinlich wird er ja wohl sterben», sagte der Kapitän. «So, wie der in den Bauch geschossen wurde. Glaubst du, daß er die vier Kubaner getötet hat?»
    «Kann man nicht wissen. Ich hab ihn gefragt, aber er hat nicht kapiert, was ich gesagt habe.»
    «Ob wir noch mal mit ihm sprechen sollten?»
    «Wir können’s ja noch mal probieren», sagte der Kapitän.
    Sie ließen den Steuermannsmaat am Rad, um an den Leuchtbaken entlang die Fahrrinne hinunterzulaufen, und gingen hinter dem Ruderhaus in die Kapitänskajüte. Dort auf der Koje aus Eisenrohren lag Harry Morgan. Seine Augen waren geschlossen, aber er öffnete sie, als der Kapitän seine breite Schulter berührte.
    «Wie fühlst du dich, Harry?» fragte der Kapitän.
    Harry sah ihn an und sagte nichts.
    «Können wir was für dich tun, mein Junge?» fragte der Kapitän.
    Harry Morgan blickte ihn an.
    «Er hört Sie nicht», sagte der Steuermann.
    «Harry», sagte der Kapitän, «willst du irgend etwas, mein Junge?»
    Er machte ein Tuch in der Wasserflasche naß, die in einem Kardanring neben der Koje hing, und feuchtete Harry Morgans stark aufgesprungene Lippen an. Sie sahen trocken und schwarz aus.
    Harry Morgan sah ihn an und begann zu sprechen: «Ein Mann.»
    «Aber gewiß doch», sagte der Kapitän. «Red nur weiter.»
    «Ein Mann», sagte Harry Morgan sehr langsam, «hat nicht – hat keine – kann überhaupt nicht.» Er hielt inne. Sein Gesicht hatte, während er sprach, überhaupt keinen Ausdruck gezeigt.
    «Mach weiter, Harry», sagte der Kapitän. «Sag uns, wer’s getan hat. Wie ist es denn passiert, mein Junge?»
    «Ein Mann», sagte Harry und sah ihn jetzt mit seinen kleinen, engstehenden Augen in seinem großen Gesicht mit den hohen Backenknochen an und versuchte jetzt, es ihm zu sagen.
    «Vier Männer», sagte der Kapitän, um ihm zu helfen. Er feuchtete ihm von neuem die Lippen an und drückte das Tuch aus, so daß ein paar Tropfen dazwischen fielen.
    «Ein Mann», verbesserte Harry; dann hielt er inne.
    «Gut. Ein Mann», sagte der Kapitän.
    «Ein Mann», sagte Harry sehr matt, sehr langsam und mit trockenem Mund. «So wie es läuft – so wie es ist – egal wie – nicht.»
    Der Kapitän sah den Steuermann an und schüttelte den Kopf.
    «Wer hat’s getan, Harry?» fragte der Steuermann.
    Harry blickte ihn an.
    «Mach dir nichts vor», sagte er. Der Kapitän und der Steuermann beugten sich beide über ihn. Jetzt kam es: «Wie beim Überholen auf dem Hügel. Auf der Straße in Kuba. Irgendeine Straße. Irgendwo. Genau so. Ich meine, so wie es steht. Wie es gelaufen ist. Eine Weile gut, schön. Vielleicht mit Glück. Ein Mann.» Er hielt inne.
    Der Kapitän sah den Steuermann an und schüttelte den Kopf.
    Harry Morgan blickte ihn matt an. Der Kapitän benetzte von neuem Harrys Lippen. Sie ließen eine blutige Spur auf dem Tuch.
    «Ein Mann», sagte Harry Morgan und sah sie beide an. «Ein Mann allein hat keine…» Er hielt inne. «Ganz egal wie – ein Mann allein hat keine verdammt beschissene Chance.»
    Er schloß die Augen. Er hatte lange Zeit gebraucht, um es rauszukriegen, und er hatte sein ganzes Leben gebraucht, um es zu lernen.
    Er lag wieder
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