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Hab ich selbst gemacht

Hab ich selbst gemacht

Titel: Hab ich selbst gemacht
Autoren: Susanne Klingner
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für Schreibüberstunden als auch für die Geschenke. Außerdem häufen sich soziale Verpflichtungen. Hier bittet noch jemand zu einem Essen, dort gibt es eine Weihnachtsfeiereinladung, Freunde schlagen reihenweise Glühwein in der Stadt vor – und ich dürfte die Stricknadeln eigentlich gar nicht mehr aus der Hand legen, wenn ich noch fertig werden will.
    Als wären das nicht genug Gründe für Nervenflattern, macht mich der Mann mittlerweile wirklich kirre mit seinem dauernden »Kauf mir doch einfach ein Geschenk«.
    Er findet das lustig. Er hat einen miesen Humor.
    Ich kann leider nicht lachen, ich habe eher das Bedürfnis, ihm das verdammte Fotoalbum um die Ohren zu hauen, an dem ich in jeder Minute, die ich allein zu Hause bin, sitze. Den Adventskalender würde ich ihm gleich noch um dieselben Ohren hauen, denn er sagte gestern doch tatsächlich: »Sind da jetzt bis Weihnachten immer nur Zitronenplätzchen und Baumküchlein drin?« Ich bin aus dem Zimmer gegangen, um nicht zu schreien.

    Und dann habe ich auch noch Nikolaus vergessen! Der Mann strahlte mich am Montagmorgen an und sagte mit gespielt geheimnisvoller Stimme: »Ich glaube, der Nikolaus war da.« Ich zog die Bettdecke über den Kopf und konnte nicht fassen, dass es völlig an mir vorbeigegangen war, dass es ja auch noch diesen verdammten 6. Dezember gibt, an dem man verdammte Süßigkeiten in verdammte Stiefel stopft und sie vor die verdammte Wohnungstür stellt. Ich schämte mich den ganzen Tag hindurch. Aber ich freute mich, dass der Mann daran gedacht hatte. Seine Liebenswürdigkeit bewahrte ihn auch vor der Umdieohrenhauerei.
    Es ist Samstag. Geschenkecountdown. Aber ich muss schreiben. Ich muss diesen Text am Montag abgeben. Trotzdem hämmert in meinem Hinterkopf weiter: Ich muss stricken! Ich muss häkeln! Ich muss nähen, nähen, nähen! Rund um die Uhr geht das so. Ich schlafe mit diesen Gedanken ein. Wenn ich überhaupt einschlafe und nicht alle paar Minuten das Licht anmache, um noch einen Erinnerungszettel zu schreiben. Ich wache mit diesen Gedanken auf. Mit Herzklopfen. Ich habe seit ein paar Tagen hektische rote Flecken im Gesicht, die ich immer dann kriege, wenn mein Adrenalinspiegel dauerhaft über Normalmaß liegt.
    Diese Adrenalinschübe waren vielleicht Anfang des Jahres ganz nett, aber jetzt HASSE ich sie. Sie ruinieren meine Gesundheit, ich fühle mich fiebrig. Ich möchte schlafen. Meine Ruhe. Dass mir jemand über den Kopf streichelt. Ich will in einen verdammten Buchladen gehen und dort in einer Stunde alle Geschenke kaufen – wie es der Mann seit Jahren tut –, anschließend will ich mir im Kino drei Filme hintereinander ansehen, um meine Zeit zu vertrödeln. Einfach so. Ohne schlechtes Gewissen.
    Heute Morgen wachte ich auf und schaute in das amüsierte Gesicht des Mannes. Er sagte: »Guten Morgen, liebe Katzenfrau.«

    Ich krächzte: »Bitte was?«
    »Du siehst aus wie die verrückte Katzenfrau.«
    Ich sah ihn weiter blöde an.
    »Bei den Simpsons.«
    Ich ging ins Bad, und tatsächlich schaute mich aus dem Spiegel eine zerknitterte alte Frau mit wirr vom Kopf abstehenden Haaren an. Matt Groenings Katzenlady.
    Ich muss schreiben. Es hilft ja nichts. Der Textentwurf liegt schon eine ganze Weile herum – als ich ihn noch mal lese, bin ich ziemlich enttäuscht: Er ist nicht so gut, wie ich ihn in Erinnerung hatte; er braucht noch viel Zuwendung.
    Die gebe ich ihm in den nächsten zwei Stunden. Ich ändere Textpassagen, streiche Floskeln und suche ein paar Zahlen, die meine These belegen. Am Ende der zwei Stunden ist aus dem Text etwas geworden, das nur noch einen letzten Schliff braucht.
    Dann stürzt Word ab.
    Ich versuche, ruhig zu bleiben. Mein Herz klopft trotzdem schnell und empört. Normalerweise werde ich beim Neustart des Programms gefragt, ob ich den zuletzt verwendeten Text wiederherstellen will. Also: Word öffnen. Und: Nichts. Da ist kein Text. Ich werde auch nichts gefragt. Da ist einfach gar nichts.
    Ich öffne den Text aus dem Ordner und bekomme die zwei Stunden alte Version angezeigt. Und plötzlich laufen die Tränen. Ich heule, als wäre ich sechs Jahre alt und mein Hamster gerade gestorben. Mein Leben ist zu Ende, das war’s. Ich kann nicht mehr. Ich werde diesen Text nie fertig bekommen. Und ich werde auch mit den Weihnachtsgeschenken nicht fertig werden. Alle werden mich hassen, der Redakteur, dem ich den Text versprochen habe, genauso wie die Familie und die Freunde, die von mir nichts geschenkt
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