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Hab ich selbst gemacht

Hab ich selbst gemacht

Titel: Hab ich selbst gemacht
Autoren: Susanne Klingner
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ist das letzte Wochenende vor Weihnachten, und ich bin froh, endlich Urlaub zu haben. Denn ansonsten hätte ich ein massives Problem. Noch fünf Tage bis Weihnachten. Nur noch drei Tage, bis ich in den Zug nach Hause steige. Seit Tagen rotieren meine Arme in Lichtgeschwindigkeit, ich jongliere zwischen meinem Job, dem Haushalt und der Geschenkeproduktion, und am Abend tun mir zwar die Arme weh, aber ich habe trotzdem nicht das Gefühl, jemals fertig zu werden.

    Auch dieser Tag fliegt einfach vorbei: Zwei Stunden verbringe ich an der Nähmaschine und anschließend drei Stunden mit Stricknadeln in der Hand. Zwischendurch fluche ich. Stricken und Nähen haben rein gar nichts Kontemplatives, wenn man es unter extremem Zeitdruck tut.
    »Du musst mal durchatmen«, sagt der Mann am frühen Nachmittag und gießt mir einen Tee ein.
    »Aber dann schaffe ich das alles nicht«, antworte ich.
    »Und wenn du nicht atmest, wirst du einfach umfallen. So: bumm.«
    Also zwingt er mich, mit ihm Brotzeit zu machen, nach dem ersten Tee auch noch einen zweiten zu trinken und so zu tun, als bestünde nicht die Gefahr, an Weihnachten mit leeren Händen dazustehen.
    Ich dagegen sehe sie real vor mir und fühle jetzt schon die Hitze auf meinen Wangen – wie ich mich schämen werde, dass ich nicht einfach Geschenke gekauft habe. Nur weil ich dieses komische Experiment mit dem Selbermachen durchziehen musste.
    Na ja, wenn schon keine Geschenke, so werde ich aber auf jeden Fall den leckersten Stollen der Welt mitbringen, versuche ich mich zu beruhigen. Denn der Mann und ich backen wieder, und zwar die doppelte Menge. Anstatt zwei kleinen Stollen werden wir einen großen und einen Monsterstollen backen. Ich werde den großen Stollen mit zu meiner Familie nehmen, der Mann bringt in seine Runde den Monsterstollen mit.
    Der Stollenteig ist schnell geknetet, die Küche wird warm und fängt an zu duften, deswegen richten wir es uns dort gemütlich ein. 160 Minuten lang werden die beiden Stollen backen, nacheinander, und mir wird ganz weihnachtlich vom Geruch und der angenehmen Ofenwärme. Ich bastle und bemale Anhänger für die Geschenke, nähe die Stulpen für die kleine Schwiegerschwester zusammen und verpasse ihnen ebenfalls einen Anhänger, fertig, dann nähe ich einen kleinen Apfelknopf an die selbst gehäkelte Handy-Hülle für den Schwiegerbruder. Auch die Hülle bekommt einen Anhänger angepinnt und landet in der Geschenkekiste mit einem triumphierenden »Fertig!«.
    Zwischendurch holen wir die Stollen aus dem Ofen, der Mann buttert und zuckert sie, und schon ein paar Minuten später sitze ich wieder an den Geschenken – das geht heute alles wie am Schnürchen hier, vielleicht hatte der Mann recht, dass Durchatmen und Pausemachen manchmal helfen. Martha Stewart würde jetzt, nach fast zwölf Monaten Training, gegen mich abstinken!
    Am Abend bekommen wir Hunger. Ich habe aber vergessen, einen Brotteig anzusetzen.
    »Egal«, sagt der Mann, »ich kaufe schnell ein Pfisterbrot«, zieht sich an und ist verschwunden. Ich decke den Tisch. Viel haben wir nicht da, denn eingekauft haben wir gestern auch nicht. »Bring Sahne und ein Bund Schnittlauch mit«, schreibe ich dem Mann schnell per SMS . Als er wieder da ist, schüttle ich die Sahne so lange, bis sie Butter ist, und er schneidet den Schnittlauch klein. Mehr braucht ein gutes Abendbrot eh nicht. Aber wie gut es wirklich ist, schmecke ich erst beim ersten Bissen in mein Schnittlauchbrot.
    »Oh Gott, schmeckt das gut«, sage ich zum Mann. »Endlich wieder Pfisterbrot!«
    Der Mann kaut vor sich hin und sagt dann: »Also so viel besser als dein Brot schmeckt es auch wieder nicht.«
    Ich verschlucke mich fast an einem Schnittlauchschnipsel. Hat er das gerade wirklich gesagt? Ich schaue den Mann fragend an.
    Er schaut zurück und grinst. »Echt jetzt«, sagt er.

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Tag 358
Schöne Bescherung
    Es ist Heiligabend, früher Abend, um den Tisch sitzen meine Mutter, meine Oma, die Schwester, ihr Mann, ihr kleiner Sohn und ich, auf dem Tisch stehen Klöße, Rotkraut, eine kleine Weihnachtsgans und eine Schüssel mit Gemüsebratlingen. Wegen der mich meine Familie wie in jedem Jahr auslacht.
    Nach dem Essen fragt meine Oma, ob sie noch ein Stück Stollen bekommen könne. Schon vorhin, beim Kaffeetrinken, ist sie ganz aus dem Häuschen geraten wegen des Stollens. Und ich habe in mich hineingelächelt, froh, Pluspunkte gesammelt zu haben, die ich nachher bei der Bescherung vielleicht brauchen
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