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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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geführt wurde.
     
    Die Großmutter, die durch das Geschrei aus tiefstem Schlaf gerissen worden war, versuchte zunächst, das Mädchen in die Arme zu schließen, um sie zu trösten, denn zu diesem Zeitpunkt glaubte sie noch, ihre Enkelin habe sich beim Spielen verletzt. Doch das Kind blieb wie versteinert stehen und ließ sich nicht beruhigen. Ratlos sah sich die Großmutter im Raum um. Dabei entdeckte sie das Grauenvolle, das Annabelle so erschüttert hatte. Frau Gieselke ächzte entsetzt. Sie mobilisierte eine Stärke, von der sie nichts geahnt hatte, hielt dem Mädchen mit einer Hand die Augen zu, umfasste mit der anderen den schmächtigen Körper und hob das noch immer markerschütternd kreischende Kind hoch. Schleppte es aus dem Zimmer. Weg von dem sich rasant ausbreitenden Blutfleck auf dem Teppich, der sich unter der kleinen Leiche ihres Bruders gebildet hatte – ausgehend von der Stelle, an der eigentlich sein fröhliches Jungengesicht hätte sein sollen.

2
    Kriminalhauptkommissar Peter Nachtigall hielt sich fit. Er hatte die Erwärmung bereits abgeschlossen und war damit beschäftigt, die Gerätschaften für die nachfolgende Trainingseinheit zusammenzusuchen. Bei den Sportmatten traf er auf Conny. Sie lächelte ihm verschwörerisch zu und tätschelte liebevoll seinen Bauchansatz.
    »Übertreib’s bloß nicht. Du weißt, ich liebe jeden Zentimeter an dir – und da wäre es doch jammerschade, wenn du dir was davon wegtrainieren würdest.«
    »Ich werde nur das schwabbelige Fett in feste, pralle Muskelmasse umwandeln«, versprach er in feierlichem Ton, »denn sonst würdest du mich ja am Ende immer weniger lieben und das werde ich auf gar keinen Fall riskieren.«
    »Du weißt doch: Frauen lieben Männer mit Substanz!«
    Darauf wollte er gerade eine schlagfertige Antwort geben, als er spürte, wie das Handy in der Tasche seines Jogginganzugs vibrierte. Mobiltelefone waren im Fitnessstudio eigentlich nicht erlaubt, aber er hatte eine Ausnahmegenehmigung bekommen. Dennoch war es ihm im Ernstfall ausgesprochen unangenehm. Schnell nickte er Conny zu und floh auf den Gang hinaus.
    »Ja!«
    »Wir haben eine Leiche im Herrensitz der Familie Gieselke. Das ist diese Gurkendynastie. Das Opfer wurde erschossen«, informierte ihn Albrecht Skorubski, Kollege und Freund.
    »Okay. Bin gerade beim Sport. In zehn Minuten bin ich draußen. Wer wurde denn erschossen – Herr Gieselke?«
    »Nein – sein Enkel. Sechs Jahre alt.«
    »Unfall. Wie furchtbar. Warum verständigen sie …?« Eine ältere Dame schob sich mit ihrem Rollator vorbei und warf dem telefonierenden Sportler einen missbilligenden Blick zu.
    »Wir wurden gerufen, weil die Kollegen vor Ort sich nicht sicher sind, ob es sich tatsächlich um einen Unfall handelt!«, unterbrach ihn der andere.
    »Was? Fahrlässige Tötung? Mord? Wer sollte denn einen Sechsjährigen ermorden?«, fragte Nachtigall entgeistert.
    »Fremdverschulden wohl in jedem Fall. Ob Mord oder eine andere Variante … Lass uns erst mal hinfahren. Ich hole dich ab.«
    Als er das Telefon in die Tasche gleiten ließ, beugte er sich zu der alten Dame hinunter und meinte: »Ich darf das. Ich bin von der Polizei.«
    »Ja, ja – das sagen sie alle«, antwortete sie bloß übellaunig.
     
    Das große Herrenhaus lag weitab der Straße, einsam und idyllisch. Die strahlend weiße Fassade des eckigen Bauwerks wurde knapp unter dem Dach von einer Kante begrenzt, die den Eindruck verstärkte, es handle sich um eine Burg. Die hohen Fenster waren streng symmetrisch angeordnet. Aufgelockert wurde die Komposition durch einige Rundbogenfenster, kleine, schmale und große, hohe. Zum Eingangsportal führte eine Treppe, die Tür selbst lag geschützt in einem halbrunden Vorbau.
    Die zuckenden Lichter der Polizeifahrzeuge und des Rettungswagens warfen bizarre Schatten an die Hauswände. Ein Streifenwagen parkte direkt in der Einfahrt, um Neugierige vom Grundstück fernzuhalten, die dunkle Limousine des Bestattungsunternehmens verbarg sich diskret hinter einem üppigen Busch.
    Peter Nachtigall schaute auf seine Armbanduhr. Halb sechs. Die Dunkelheit brach bereits herein und ein Fremder wäre im Park des Anwesens schon nicht mehr auszumachen gewesen.
    »Wann genau wurde der Junge gefunden?«
    »Wir wurden gegen 16 Uhr alarmiert«, gab der Kollege Peddersen Auskunft.
    »Hm. Da war es noch hell, na ja, bei dem Wetter eher dämmrig. Ein Flüchtender, der über die Wiese in Richtung Tor läuft, wäre aber sicher noch zu
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