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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Autoren: Gianrico Carofiglio
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hinter sich bringen möchte. Er blickte zuerst nach rechts, dann nach links, und überzeugte sich davon, dass alle Mitglieder des Gerichts an ihren Plätzen waren. Danach setzte er seine Brille auf, um das Urteil zu verlesen.
    Ich senkte den Blick, kniff die Augen zusammen und lauschte auf mein Herz. Es schlug kräftig und schnell.
    »Im Namen des Volkes! Gemäß Paragraph 530 des italienischen Strafgesetzbuchs...«
    Eine Art Stromschlag durchzuckte meinen ganzen Körper, danach bekam ich weiche Knie.
    Freispruch.
    Paragraph 530 des Strafgesetzbuches regelt den Freispruch.
    »... spricht das Schwurgericht Bari Thiam, Abdou von den ihm zur Last gelegten Straftaten frei, weil er sie nicht begangen hat. Gemäß Paragraph 300 Strafgesetzbuch verfügt es die sofortige Aufhebung der Untersuchungshaft und mithin die Freilassung des Betroffenen, sofern er nicht wegen anderer Delikte einsitzt. Die Sitzung ist geschlossen.«
    Es ist schwierig zu erklären, was man in so einem Moment empfindet. Weil man es selbst nicht richtig versteht.
    Ich blieb, wo ich war, und starrte auf die leeren Bänke der Richter. Rings um mich herum aufgeregtes Stimmengewirr. Jemand berührte mich an der Schulter, jemand anderes ergriff meine Hand und schüttelte sie. Ich fragte mich, was so viele Leute am neunten Juli um zehn Uhr abends im Verhandlungssaal des Schwurgerichts zu suchen hatten.
    Ich weiß nicht, wie lange ich reglos stehen blieb.
    Bis ich Abdous Stimme aus dem allgemeinen Lärm heraushörte. Ich zog meine Robe aus und ging zum Käfig... Theoretisch hätten sie ihn sofort freilassen können. Praktisch mussten sie ihn aber noch einmal zum Gefängnis zurückbringen, um die nötigen Formalitäten zu erledigen. Jedenfalls saß er noch immer darin.
    Wir standen uns Auge in Auge gegenüber, nichts als die Gitterstäbe zwischen unseren Gesichtern. Seine Augen glänzten, er presste die Zähne zusammen und hatte ein leichtes Zittern in den Mundwinkeln.
    Mein Gesicht sah, glaube ich, nicht viel anders aus.
    Durch das Gitter hindurch drückten wir uns lange die Hände. Nicht in der herkömmlichen Weise, wie es bei einer Vorstellung oder unter Geschäftsleuten üblich ist, sondern mit ineinander verhakten Daumen und angewinkelten Unterarmen.
    Er sagte nur ein paar Worte in seiner Sprache. Ich brauchte keinen Dolmetscher, um zu verstehen, was sie bedeuteten.

18
    Noch am Abend der Urteilsverkündung hinterließ ich Margherita eine Nachricht auf der Mailbox ihres Handys, aber wir schafften es erst am Nachmittag des darauf folgenden Tages, uns zu treffen.
    Sie schaute in meiner Kanzlei vorbei, wir gingen hinunter und setzten uns in eine Bar. Über den Prozess sprachen wir wenig. Mir war nicht danach, sie verstand das und hörte fast sofort auf, mir dazu Fragen zu stellen. Sonderbarerweise waren wir beide etwas verlegen.
    Auf dem Rückweg zu meiner Kanzlei musste ich mir einen Ruck geben, um das Anliegen, das ich im Kopf hatte, loszuwerden.
    »Ich würde dich gern zum Abendessen ausführen. Bitte, sag nicht Nein, auch wenn das keine sehr elegante Einladung war. Ich bin etwas aus der Übung.«
    Sie sah mich an, als müsse sie sich das Lachen verkneifen, aber sie sagte nichts.
    »Also, was ist?«, fragte ich nach ein paar Sekunden.
    »Du hast Recht, Einladen ist nicht deine Stärke, aber ich will deinen guten Willen belohnen.«
    »Soll das heißen, du bist einverstanden?«
    »Ja, ich bin einverstanden. Heute Abend?«
    »Nein. Bitte, morgen.«
    Sie kniff die Augen zusammen und sah mich verwundert an, so dass ich das Gefühl hatte, unbedingt noch etwas hinzufügen zu müssen.
    »Ich muss heute Abend etwas erledigen, etwas sehr Wichtiges. Etwas, was ich unmöglich verschieben kann. Bevor ich das nicht hinter mich gebracht habe, kann ich dich nicht zum Essen ausführen.«
    Sie schaute mich noch ein paar Sekunden mit diesem perplexen Gesichtsausdruck an, dann nickte sie...
    Gut, dann bis morgen.
    Bis morgen.
     
    Ich kehrte vom Büro nach Hause zurück, duschte, zog mir eine kurze Hose an und mixte mir einen Milchshake. Danach schlenderte ich ein wenig durch meine Wohnung. Ab und zu blieb ich stehen und betrachtete das Telefon. Studierte es aus der Ferne.
    Nach einer Weile setzte ich mich in einen Sessel. Das Telefon stand vor mir, und wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich den Hörer abnehmen. Ich blieb aber einfach nur sitzen und betrachtete den Apparat.
    Du hast keine Eile, dachte ich.
    Außerdem muss man, um telefonieren zu können, sich die
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