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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Autoren: Gianrico Carofiglio
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ausgelöst hätte. Es sei nicht gut gewesen, das Problem so viele Monate ungelöst mit mir herumzuschleppen. Dies habe die Verhaltensstörung verschlimmert und ziehe die Gefahr einer mittelschweren Depression nach sich. Mithin, die Situation sei ernst und dürfe nicht unterschätzt werden. Ich bräuchte mir jedoch keine Sorgen zu machen, denn allein die Tatsache, dass ich zum Psychiater gegangen sei, stelle ein positives Anzeichen dar, dafür nämlich, dass der Bewusstwerdungsprozess begonnen habe, und dies sei immer der erste Schritt zur Heilung. Klar, um eine medikamentöse Behandlung käme ich nicht herum, aber innerhalb von zwei, drei Monaten würde sich mein Zustand wesentlich verbessern, das könne er mir versprechen.
    Pause und eindringlicher Blick. Das musste wohl Teil der Therapie sein.
    Dann begann er zu schreiben und füllte mehrere Seiten seines Rezeptblocks mit den Namen von Medikamenten gegen Angstzustände und Depressionen.
    Ich solle dieses Zeug zwei Monate lang einnehmen, meinte er. Ich solle versuchen, mich abzulenken. Ich solle nicht ständig grübeln. Ich solle versuchen, den Dingen ihre positive Seite abzugewinnen und meine Lage nicht als aussichtslos betrachten. Ich solle ihm hundertfünfzig Euro geben, kein Wort von einer Quittung, und in zwei Monaten würden wir uns zur Kontrolle sehen.
    Während er mich verabschiedete und zur Tür begleitete, riet er mir noch davon ab, die Packungsbeilagen der Medikamente zu lesen. Er war ein echter Kenner der menschlichen Psyche.
    Um unliebsamen Begegnungen vorzubeugen, hielt ich nach einer Apotheke außerhalb des Stadtzentrums Ausschau. Ich wollte vermeiden, dass der Pharmazeut vor einem meiner Klienten oder Kollegen dem Apothekenhelfer im Hintergrund Sätze zurief wie: »Sieh bitte im Psychopharmakaschrank nach, ob wir für diesen Herrn extrastarkes psychiatrisches Valium da haben.«
    Nachdem ich eine Zeit lang mit dem Auto herumgekurvt war, fiel meine Wahl auf eine Apotheke am Stadtrand von Bari, im Rione Japigia. Die Apothekerin war eine hagere, junge Frau, die nicht gerade freundlich dreinschaute; ich schob ihr das Rezept hin, ohne ihr in die Augen zu sehen, und fühlte mich wie ein Seminarist in einem Sexshop.
    Als die Apothekerin bereits dabei war, zusammenzurechnen, sagte ich den Satz auf, den ich mir vorher zurechtgelegt hatte. »Ach, wo ich schon hier bin, nehme ich auch noch was für mich selber mit. Haben Sie Vitamin C in Form von Brausetabletten da?«
    Sie sah mich eine Sekunde lang an, ohne etwas zu sagen. Die Nummer kannte sie. Dann gab sie mir die Vitamin-Tabletten zusammen mit allem Übrigen. Ich bezahlte und floh Hals über Kopf.
    Zu Hause angekommen, packte ich aus, öffnete die Schachteln und las die Packungsbeilagen der Medikamente. Sie waren alle sehr interessant. Was meine Aufmerksamkeit jedoch geradezu magnetisch anzog, waren die Nebenwirkungen des Antidepressivums Trittico mit dem Wirkstoff Trazodon.
    Sie reichten von simplem Schwindel über Mundtrockenheit und Sehstörungen bis hin zu Verstopfung, Harnretention, Zittern und Beeinträchtigung der Libido.
    Ich überlegte mir, dass ich für die Beeinträchtigung meiner Libido schon selbst gesorgt hatte, und las weiter. So entdeckte ich, dass eine geringe Anzahl von Männern nach der Einnahme von Trazodon unter anhaltenden, schmerzhaften Erektionen litt, dem sogenannten Priapismus.
    Dieses Problem erforderte mitunter einen chirurgischen Noteingriff, der seinerseits eine bleibende, sexuelle Beeinträchtigung zur Folge haben konnte.
    Der letzte Satz war allerdings beruhigend: Das Risiko einer tödlichen Überdosierung war bei Trazodon glücklicherweise niedriger als bei trizyklischen Antidepressiva.
    Als ich fertig gelesen hatte, begann ich nachzudenken.
    Was machte man im Fall einer anhaltenden, schmerzhaften Erektion? Ging man – das schmerzende Teil in der Hand – ins Krankenhaus? Zog man eine sehr luftige Unterhose an? Was sagte man dem Arzt? Worin bestand die bleibende, sexuelle Beeinträchtigung?
    Und weiter: Wie viel brauchte es für eine tödliche Überdosis Trazodon? Reichten zwei Pillen aus? Oder musste man die ganze Schachtel schlucken?
    Ich fand keine Antwort auf diese Fragen, aber das Trittico landete im Klo, wie auch alle andern Medikamente, die mein Psychiater mir verschrieben hatte. Mein Ex-Psychiater.
    Ich leerte gewissenhaft sämtliche Packungen und spülte ihren Inhalt runter. Danach wanderten Schachteln, Fläschchen, Ampullen und Packungsbeilagen in den
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