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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Mülleimer.
    Als ich fertig war, schenkte ich mir ein großzügig bemessenes halbes Glas Whisky ein - vermeiden Sie es, Alkohol zu trinken – und legte ein Video ein, eines der wenigen, die ich mitgenommen hatte: Die Stunde der Sieger .
    Während die ersten Szenen über den Bildschirm flimmerten, zündete ich mir eine Marlboro an – meiden Sie Nikotin, wenigstens abends - und war zum ersten Mal seit langer Zeit wieder beinahe gut gelaunt.

6
    A ls Junge habe ich geboxt.
    Mein Großvater war auf diese Idee gekommen, als er mich eines Tages mit geschwollenem Gesicht nach Hause kommen sah. Ich war verprügelt worden, von einem Typen, der um einiges größer – und aggressiver – war als ich.
    Ich war damals vierzehn Jahre alt, ein schmächtiges Bürschchen, ging in die vierte Gymnasialklasse und war überzeugt, dass es so etwas wie Glück nicht gab. Wenigstens nicht für mich.
    Der Boxverein war in einem feuchten Keller untergebracht, der Trainer ein dürrer Mann um die siebzig mit hageren, immer noch muskulösen Armen und einem Buster-Keaton-Gesicht. Ein Freund meines Großvaters.
    Ich erinnere mich noch genau daran, wie wir die schmale, schlecht beleuchtete Treppe hinuntergingen und dann eintraten. Keiner sprach, man hörte nur die dumpfen Schläge der Fäuste gegen den Sandsack, das Schnalzen der Seile, den Rhythmus der Punchingbälle. Über allem hing ein Geruch, bei dessen Vorstellung ich noch heute eine Gänsehaut bekomme, obwohl ich ihn unmöglich beschreiben könnte.
    Meiner Mutter haben wir lange verheimlicht, dass ich unter die Boxer gegangen war. Sie erfuhr es erst, als ich mit siebzehneinhalb bei der regionalen Juniorenmeisterschaft im Weltergewicht die Silbermedaille gewann.
    Mein Großvater erlebte leider nicht mehr, wie ich auf das Podium aus Sperrholz kletterte.
    Er war drei Monate zuvor mit seinem deutschen Schäferhund im Pinienwald spazieren gegangen und hatte sich irgendwann in aller Ruhe auf eine Bank gesetzt.
    Ein Junge, der in der Nähe gewesen war, berichtete, er habe den Hund gestreichelt und wenig später den Kopf irgendwie eigentümlich an die Lehne gelegt.
    Die Carabinieri mussten den Hund erschießen, um an den Toten heranzukommen und ihn als Guido Guerrieri identifizieren zu können, emeritierter Professor für Geschichte der mittelalterlichen Philosophie.
    Mein Großvater.
    Ich gewann nach diesen Regionalmeisterschaften noch mehr Medaillen. Auch eine in Bronze bei den italienischen Universitätsmeisterschaften im Halbschwergewicht.
    Ich war nie einer, der besonders hart zuschlug, aber ich hatte eine gute Technik, war groß und dünn und hatte längere Arme als die anderen aus meiner Gewichtsklasse.
    Kurz vor Ende des Studiums hörte ich mit dem Boxen auf. Langfristig hält man diesen Sport nur durch, wenn man entweder ein echter Crack ist oder etwas beweisen muss.
    Ich war kein Crack, und ich hatte das Gefühl, alles bewiesen zu haben, was ich beweisen wollte.
    Nach meinem Entschluss, ohne die moderne Psychiatrie auszukommen, sann ich angestrengt auf eine Alternative. Und merkte, dass ich Lust hatte zu boxen.
    Wenn ich es mir recht überlegte, war das Boxen eines der wenigen realen Dinge in meinem Leben gewesen. Der Geruch der ledernen Boxhandschuhe, die Schläge – egal, ob eingesteckt oder ausgeteilt -, die heiße Dusche danach, wenn du merkst, dass dir zwei Stunden lang kein einziger Gedanke durch den Kopf gegangen ist.
    Die Angst, wenn du auf den Ring zuschreitest, die Angst hinter deinen ausdruckslosen Augen, hinter den ausdruckslosen Augen deines Gegners. Tänzeln, zuschlagen, ausweichen, einstecken, austeilen, in Deckung gehen mit Armen, die vor Erschöpfung nicht mehr mitmachen wollen, durch den Mund atmen, beten, es möge zu Ende gehen, weil du es nicht mehr schaffst, einen Treffer landen wollen und – scheinbar – nicht können, denken, dass es dir völlig egal ist, ob du gewinnst oder verlierst, Hauptsache, es hört endlich auf, versucht sein, dich einfach fallen zu lassen und es nicht tun, ohne zu wissen, warum und was dich noch auf den Beinen hält, und endlich der Gong, denken, dass du verloren hast und dass es dir egal ist, bis der Ringrichter plötzlich deinen Arm hochreißt und du begreifst, dass du gewonnen hast – in diesem Moment gibt es nichts anderes mehr für dich, nichts anderes als diesen Moment. Den kann dir keiner mehr nehmen. Nie mehr.
    Ich suchte nach einem Sportverein, in dem noch geboxt wurde. Den alten Keller, in dem ich vor fast fünfundzwanzig
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