Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Autoren: Gianrico Carofiglio
Vom Netzwerk:
um sie zu verstecken.
    Tatort Polignano, 7. August 1999 (in agro)
    Der neunjährige Francesco war verschwunden, während er eines Nachmittags allein auf einem kleinen Platz vor dem Ferienhaus seiner Großeltern in Monopoli, im Süden der Provinz Bari, Fußball spielte.
    Zwei Tage später hatte man seine Leiche zwanzig Kilometer weiter nördlich, im Umland von Polignano, in einem Brunnenschacht entdeckt.
    Der Gerichtsarzt, der die Autopsie durchgeführt hatte, hatte sexuellen Missbrauch weder attestieren noch ausschließen können.
    Ich kannte diesen Gerichtsarzt. Der hätte sexuellen Missbrauch nicht einmal dann attestieren können, wenn ein Kind – aber auch ein Erwachsener oder ein Greis – vor seinen Augen vergewaltigt worden wäre.
    Trotzdem war man bei den Ermittlungen von Anfang an vom Verdacht des Mordes aus sexuellen Beweggründen ausgegangen und hatte einen pädophilen Straftäter gesucht.
    Vier Tage nach der Entdeckung der Leiche verkündeten Carabinieri und Staatsanwaltschaft in einer Pressekonferenz triumphierend die Aufklärung des Falles.
    Der Täter war ein Senegalese namens Abdou Thiam, 31 Jahre alt, von Beruf Straßenhändler. Der Mann besaß eine gültige Aufenthaltsgenehmigung und war wegen geringfügiger Vergehen – gefälschte Markenartikel – ein paar Mal aktenkundig geworden. Im Klartext hieß das, dass er neben Originalware auch falsche Produkte von Vuitton, Hogan und Cartier verkauft hatte. Im Sommer an den Stränden, im Winter auf der Straße und auf Märkten.
    Die Beweise für seine Schuld waren, nach Ansicht der Ermittler, erdrückend. Zahlreiche Zeugen hatten ausgesagt, ihn am Strand des Öfteren, auch längere Zeit, mit dem kleinen Francesco sprechen gesehen zu haben. Der Betreiber einer Bar in unmittelbarer Nähe des großelterlichen Hauses hatte Abdou wenige Minuten vor dem Verschwinden des Jungen zu Fuß vorübergehen sehen, und zwar ohne den üblichen Sack mit mehr oder weniger gefälschter Ware.
    Ein senegalesischer Mitbewohner Abdous gab im Verlauf des polizeilichen Verhörs zu Protokoll, der Angeklagte habe an einem dieser Tage – an welchem, konnte er nicht genau sagen – sein Auto waschen lassen. Soweit er sich erinnerte, war das vorher noch nie vorgekommen. Für die Anklage war das natürlich ein sehr nützlicher Hinweis: Der Beschuldigte hatte sein Auto waschen lassen, um mögliche Spuren zu verwischen und die Ermittler zu täuschen.
    Ein weiterer Senegalese, ebenfalls ein Straßenverkäufer, hatte ausgesagt, dass man Abdou am Tag nach dem Verschwinden des Jungen nicht am üblichen Strand gesehen habe. Auch das wurde – zu Recht – als wichtiges Indiz gedeutet.
    Abdou selbst verstrickte sich bei der Vernehmung durch den Staatsanwalt in mehrere schwerwiegende Widersprüche. Am Ende des Verhörs wurde er wegen des Verdachts auf Kindsentführung und -tötung in U-Haft genommen. Sexueller Missbrauch wurde ihm nur deshalb nicht zur Last gelegt, weil sich nicht beweisen ließ, dass der Junge vergewaltigt worden war.
    Bei der Durchsuchung seines Zimmers hatten die Carabinieri zahlreiche Kinderbücher gefunden, alle in Originalversion. Die Harry-Potter- Romane, Der kleine Prinz , Doktor Dolittle und andere. Vor allem aber hatten sie, neben den Büchern, ein Foto gefunden und beschlagnahmt, das den nur mit einer Badehose bekleideten Jungen am Strand zeigte.
    Die Bücher und das Foto wurden in dem Haftbefehl, den die Frau mir über den Schreibtisch zugeschoben hatte, »als bedeutsame Ergänzung der vorliegenden Indizien« gewertet.
    Als ich den Blick wieder hob und auf die Frau richtete – Abiadschadsche Deheba war ihr Name – begann sie zu sprechen.
    Abdou hatte zu Hause im Senegal als Lehrer umgerechnet etwa zwanzigtausend Lire im Monat verdient. Mit dem Verkauf von Handtaschen, Schuhen und Portemonnaies verdiente er zehnmal so viel. Er sprach drei Sprachen, wollte Psychologie studieren und in Italien bleiben.
    Sie war Agronomin und kam aus Assuan. Nubien. Ägypten an der Grenze zum Sudan.
    Sie war seit knapp einem Jahr in Bari und machte hier eine Art Master in Boden- und Wasserverwaltung. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat sollte sie im Auftrag der Regierung einen Bewässerungsplan für die Sahara ausarbeiten, um die Sanddünen in fruchtbares Ackerland zu verwandeln.
    Ich fragte sie, was Bari mit der Bewässerung der Wüste zu tun habe.
    In Bari, erklärte sie mir, gebe es ein landwirtschaftliches Forschungsinstitut – Centre International Hautes Études Agronomiques
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher