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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Mediterranéennes lautete die offizielle Bezeichnung – an dem sich Leute aus allen Entwicklungsländern des Mittelmeerraums fortbildeten: Libanesen, Tunesier, Marokkaner, Malteser, Jordanier, Syrer, Türken, Ägypter, Palästinenser. Sie wohnten im Gästehaus des Instituts, studierten den ganzen Tag und schwärmten bei Nacht durch die Stadt.
    Abdou hatte sie auf einem Konzert kennen gelernt. In einem Lokal in der Altstadt – sie nannte einen Namen, den ich nicht kannte -, wo sich abends Griechen, Schwarzafrikaner, Asiaten, Nordafrikaner und auch der ein oder andere Italiener trafen.
    Es war ein Konzert auf wolof gewesen – der wichtigsten Sprache Senegals – und Abdou hatte zusammen mit anderen Landsleuten Trommel gespielt.
    Sie hielt ein paar Sekunden inne, während derer ihr Blick nach draußen wanderte, hinaus aus meinem Zimmer, hinaus aus meinem Büro. Hinaus.
    Dann fuhr sie fort, aber ich merkte, dass sie nicht mit mir redete.
    Abdou ist Lehrer, sagte sie, ohne mich anzusehen.
    Er war Lehrer, auch wenn er jetzt Handtaschen verkaufte. Er liebte Kinder und hätte einem Kind niemals was zu Leide tun können.
    Er hätte überhaupt niemandem was zu Leide tun können.
    An diesem Punkt begann die beherrschte Stimme Abadschadsche Dehebas zu zittern. Ihre Gesichtszüge, die Züge einer nubischen Prinzessin, verzerrten sich in dem Bemühen, nicht zu weinen.
    Es gelang ihr, aber sie schwieg eine ewig erscheinende Minute lang.
    Gleich nach der Verhaftung hatten sie einen Anwalt mit der Sache betraut; den Namen, den sie nannte, kannte ich nur zu gut. Dieser Mensch hatte sich mir gegenüber einmal damit gebrüstet, in seiner Steuererklärung ganze achtzehn Millionen Lire Jahreseinkommen anzugeben...
    Von Abdou hatte er zehn Millionen verlangt, einzig für die Haftbeschwerde. Abdous Freunde machten untereinander eine Kollekte und brachten fast die ganze Summe zusammen. Mein »Kollege« gab sich zufrieden und strich das Geld ein – im Voraus, bar und selbstverständlich ohne Quittung.
    Die Haftbeschwerde blieb erfolglos. Für das Berufungsverfahren wollte er zwanzig Millionen, aber zehntausend Euro hatten sie nicht, und so war Abdou im Gefängnis geblieben.
    Jetzt, wo sich der Prozess näherte, hatten sie beschlossen, sich an mich zu wenden. Einer von den Senegalesen kannte mich – die junge Frau nannte einen Namen, an den ich mich beileibe nicht erinnerte -, sie wussten, dass ich keiner war, der aufs Geld schaute, für den Moment konnten sie mir wenigstens zwei Millionen Lire geben, mehr hatten sie leider nicht zusammenkratzen können.
    Abadschadsche Deheba öffnete ihre Tasche, zog ein Bündel Banknoten heraus, das mit einem Gummi umwickelt war, legte es auf den Tisch und schob es mir hin. Dass ich hätte ablehnen oder um den Preis feilschen können, stand nicht zur Debatte. Ich sagte, meine Sekretärin würde ihr eine Quittung ausstellen. Nein danke, eine Quittung wollte sie nicht, was hätte sie auch damit anfangen sollen. Was sie aber wollte, war, dass ich Abdou sofort im Gefängnis besuchte.
    Ich sagte ihr, das könne ich nicht, dazu müsse Herr Thiam mich zuerst formal zu seinem Anwalt erklären, und sei es auch nur bei der Gefängnisverwaltung. Sie sagte, gut, das würde sie ihm bei ihrem nächsten Besuch ausrichten. Dann stand sie auf, gab mir die Hand – was sie beim Eintreten nicht gemacht hatte – und sah mir in die Augen. »Abdou hat das, was ihm vorgeworfen wird, nicht getan.«
    Ihr Händedruck war so kräftig, wie ich es erwartet hatte.
    Als ich die Tür öffnete, hörte ich, wie meine Sekretärin einer offensichtlich erbosten, weil warten müssenden Signora Cassano erklärte, der Anwalt hätte einen Notfall gehabt, würde sie aber bestimmt gleich empfangen.
    Ich konnte mir ungefähr vorstellen, was meine Klientin dachte, als Abadschadsche Deheba an ihr vorbeiging und ihr klar wurde, dass ich sie wegen einer Negerin hatte warten lassen.
    Sie betrat mein Zimmer mit angewidertem Gesicht. Ich bin überzeugt, sie hätte mir ins Gesicht gespuckt, wenn sie gekonnt hätte.
    Am nächsten Tag wurde sie verurteilt, und für die Berufung suchte sie sich einen anderen Anwalt. Mein Honorar blieb sie mir natürlich schuldig, aber vielleicht hatte sie ja Recht, und ich hatte wirklich nicht mein Bestes getan, um ihren Freispruch zu erwirken.

2
    I ch parkte meinen Wagen wie jeden Freitag im Halteverbot. Am Besuchstag findet man in der Nähe des Gefängnisses keinen regulären Parkplatz.
    Freitag ist
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