Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
führen, hier schon alle Auskunftspersonen detailliert aufzuzählen. Sie werden an geeigneter Stelle vorgestellt
     und in ihrem Ambiente geschildert werden. Als Auskunftsperson nicht für Leni selbst, nur für eine wichtige Figur in Lenis
     Leben, eine katholische Nonne, sei hier nur noch ein ehemaliger Buchantiquar erwähnt, der sich durch die Initialen B. H. T.
     ausreichend legitimiert glaubt.
    |19| Eine schwache, immerhin aber noch lebende Auskunftsperson, die nur dann als befangen abgelehnt werden muß, wenn es um sie
     selbst geht, ist Lenis Schwager Heinrich Pfeiffer, vierundvierzig, verheiratet mit einer gewissen Hetti, geb. Irms, zwei Söhne,
     achtzehn und vierzehn, Wilhelm und Karl.
     
    Es werden an entsprechender Stelle, mit der ihrer Wichtigkeit entsprechenden Ausführlichkeit noch vorgestellt werden: drei
     hochgestellte Persönlichkeiten männlichen Geschlechts, der eine Kommunalpolitiker, der andere aus dem Bereich der Großindustrie,
     der dritte ein Rüstungsbeamter in höchster Stellung, zwei invalide Arbeiterinnen, zwei oder drei Sowjetmenschen, die Besitzerin
     einer Kette von Blumenläden, ein alter Gartenmeister, ein nicht ganz so alter ehemaliger Gärtnereibesitzer, der (eigene Aussage!)
     »sich ganz der Verwaltung seiner Liegenschaften widmet«, und einige andere. Wichtige Auskunftspersonen werden mit exakter Angabe ihrer Körpergröße und ihres Gewichts vorgestellt.
     
    Lenis Wohnungseinrichtung, soweit sie ihr nach vielen Pfändungen verblieben ist, ist eine Mischung aus 1885 und 1920/25: durch
     Erbschaften ihrer Eltern in den Jahren 1920 und 1922 sind ein paar Jugendstilstücke, eine Kommode, ein Bücherschrank, zwei
     Stühle in Lenis Wohnung geraten, deren antiquarische Kostbarkeit den Gerichtsvollziehern bisher entgangen ist; sie wurden
     als »Gerümpel« für pfändungsunwürdig bezeichnet. Hinweggepfändet und durch Vollstreckungsbeamte aus dem Haus geholt wurden
     achtzehn Originalgemälde zeitgenössischer, lokaler Maler aus den Jahren 1918–1935, überwiegend religiösen Gegenstands, deren
     Wert, weil sie Originale waren, vom Gerichtsvollzieher überschätzt wurde, deren Verlust Leni nicht im geringsten schmerzlich |20| berührt hat. Lenis Wandschmuck besteht aus exakten Farbfotos mit Abbildungen der Organe des menschlichen Körpers; ihr Schwager
     Heinrich Pfeiffer besorgt sie ihr; er ist Büroangestellter beim Gesundheitsamt, hat u. a. die Verwaltung des Lehr- und Informationsmaterials,
     und »obwohl es mit meinem Gewissen nicht so ganz vereinbar ist« (H. Pfeiffer), bringt er Leni jene Tafeln mit, die abgenutzt
     sind und ausrangiert werden; um buchungstechnisch korrekt vorzugehen, erwirbt Pfeiffer die ausrangierten Tafeln und zahlt
     eine kleine Gebühr für sie; da er auch die Neuanschaffung der entsprechenden Tafeln »unter sich« hat, gelingt es Leni hin
     und wieder, durch ihn auch eine neue Tafel zu erwerben, die sie direkt von der Herstellungsfirma bezieht und natürlich aus
     ihrer eigenen (schmal bestückten) Tasche bezahlt. Die abgenutzten Tafeln bessert sie eigenhändig aus: sie reinigt sie sorgfältig,
     mit Seifenlauge oder Benzin, zieht mit einem schwarzen Graphitstift die Linien nach, und mit Hilfe eines billigen Aquarellkastens,
     der noch aus den Kindheitstagen ihres Sohnes im Hause verblieben ist, koloriert sie die Tafeln. Ihre Lieblingstafel ist die
     wissenschaftlich exakte Vergrößerung eines menschlichen Auges, das über ihrem Klavier hängt (um das schon mehrfach gepfändete
     Klavier auszulösen, es vor dem Abtransport durch Vollstrekkungsbeamte zu bewahren, hat Leni sich durch Betteleien bei alten
     Bekannten ihrer verstorbenen Eltern, Mietvorschüsse bei ihren Untermietern, durch Anpumpen ihres Schwagers Heinrich, meistens
     durch Besuche bei dem alten Hoyser, dessen scheinbar familiäre Zärtlichkeiten Leni nicht ganz geheuer sind, erniedrigt; nach
     Aussage der drei zuverlässigen Zeugen [Margret, Marja, Lotte] hat sie sogar geäußert, sie wäre bereit, um des Klaviers willen
     »auf die Straße zu gehen« – eine für Leni ungeheuer kühne Äußerung). Auch minder betrachtete Organe wie die menschlichen Gedärme
     schmücken Lenis Wände, und |21| nicht einmal die menschlichen Geschlechtsorgane mit exakter Beschreibung ihrer sämtlichen Funktionen fehlen als vergrößerter
     tabulierter Wandschmuck, und sie hingen schon bei Leni, lange bevor die Pornotheologie sie populär machte. Es hat seinerzeit
     harte Auseinandersetzungen zwischen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher