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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Autoren: Heinrich Böll
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da sie seit ihrem vierzehnten Lebensjahr unkirchlich
     dahinlebt. Würde sie andere Jugendfreundinnen außer Margret – der das Tanzen wahrscheinlich bis an ihr Lebensende verwehrt
     bleiben wird – ausfindig machen, wahrscheinlich würde sie in irgendwelche Strip- oder Partnertauschparties geraten, ohne selbst
     einen Partner zu haben, und würde zum viertenmal in ihrem Leben erröten. Leni ist bis dato dreimal in ihrem Leben errötet.
     Was macht Leni also? Sie tanzt allein, manchmal nur leicht bekleidet, in ihrem Wohnschlafzimmer, in ihrem Badezimmer sogar
     manchmal nackt und vor dem schmeichlerischen Spiegel. Sie wird hin und wieder dabei beobachtet, sogar überrascht – und das
     fördert keineswegs ihren Ruf. Einmal hat sie mit einem der möblierten Herrn getanzt, einem Gerichtsassessor, dem frühzeitig
     kahl gewordenen Erich Köppler; Leni wäre |24| dabei fast errötet, wären die handgreiflichen Zudringlichkeiten dieses Herrn nicht gar zu plump gewesen; jedenfalls mußte sie ihm kündigen,
     da er – nicht unintelligent und keineswegs instinktlos – Lenis enorme Sinnlichkeit erkannt hatte und seit dem »riskierten
     Tänzchen« (Leni), das sich, als er seine Miete bezahlte und Leni beim Abhören von Tanzmusik ertappte, einfach so ergab, jeden
     Abend vor ihrer Zimmertür winselte. Leni wollte ihn nicht erhören, weil sie ihn nicht mochte, und seitdem gehört Köppler,
     der sich ein Zimmer in der Nachbarschaft besorgte, zu den übelsten Denunzianten, der hin und wieder im vertraulichen Gespräch
     mit der Besitzerin des Einzelhandelsgeschäfts, das kurz davor ist, dem Strukturwandel zu erliegen, intime Details seiner fiktiven
     Liebschaft mit Leni zum besten gibt, die jene Besitzerin – eine Person von eiskalter Hübschheit, deren Mann tagsüber abwesend
     ist (er arbeitet in einer Autofabrik), derart in Erregung versetzt, daß sie den kahlköpfigen Gerichtsassessor, der inzwischen
     Rat geworden ist, ins Hinterzimmer zerrt, wo sie sich ausgiebig an ihm vergeht. Diese Person, Käte Perscht mit Namen, achtundzwanzig
     Jahre alt, ist es denn auch, die mit bösester Zunge über Leni spricht, sie moralisch verleumdet, obwohl sie selbst durch Vermittlung
     ihres Mannes, wenn überwiegend männliche Messebesucher die Stadt überschwemmen, in einem Nachtclub sich gegen gute Bezahlung
     zum »Messestrip« verdingt und von einem öligen Ansager vor ihrem Auftritt verkünden läßt, sie sei bereit, die Erregungen,
     die ihre Darstellungen hervorrufen, konsequent zu befriedigen.
    Neuerdings hat Leni hin und wieder Gelegenheit zu einem Tanz. Aufgrund gewisser Erfahrungen vermietet sie nur noch an Ehepaare
     und ausländische Arbeiter Zimmer, so hat sie an ein nettes junges Paar, das wir der Einfachheit halber Hans und Grete nennen
     wollen, zwei Zimmer – und das angesichts ihrer Finanzlage! – zu einem |25| Vorzugspreis vermietet, und eben jener Hans und jene Grete haben beim gemeinsamen Abhören von Tanzmusik mit Leni deren äußere
     wie innere rhythmische Zukkungen richtig gedeutet, und so kommt Leni gelegentlich zu einem »Tänzchen in Ehren«. Hans und Grete
     versuchen sogar manchmal vorsichtig, Leni ihre Situation zu analysieren, raten ihr, ihre Kleidung zu modernisieren, ihre Haartracht
     zu ändern, raten ihr, sich einen Liebhaber zu suchen. »Nur ein bißchen aufgemöbelt, Leni, ein schickes rosa Kleid und schicke
     Strümpfe auf deine phantastischen Beine – und du würdest bald merken, wie attraktiv du noch bist.« Doch Leni schüttelt dann
     den Kopf, sie ist zu verletzt, sie betritt den Lebensmittelladen nicht mehr, läßt ihre Einkäufe von Grete besorgen, und Hans
     hat ihr den allmorgendlichen Gang zum Bäckerladen abgenommen und holt ihr rasch, bevor er zur Arbeit geht (er ist Techniker
     bei der Straßenbauverwaltung, Grete arbeitet als Kosmetikerin und hat Leni – bisher ohne Erfolg – ihre Dienste kostenlos angeboten),
     ihre zwei unabdingbaren knackfrischen Brötchen, die für Leni wichtiger sind als für andere Leute irgendwelche Sakramente.
     
    Lenis Wandschmuck besteht natürlich nicht ausschließlich aus biologischen Lehrtafeln, sie hat auch Fotos an den Wänden; Fotos
     von Verstorbenen; ihre Mutter, die 1943 im Alter von einundvierzig Jahren starb und kurz vor ihrem Tod aufgenommen ist, eine
     leidend wirkende Frau mit dünnem grauem Haar und großen Augen, die, in eine Decke eingehüllt, auf einer Bank am Rhein bei
     Hersel sitzt, in der Nähe einer Schiffsanlegestelle, auf
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