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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry
Autoren: Hasnain Kazim
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Duldung bei der Ausländerbehörde, die Gerichtsprozesse, die sorgenvollen Gespräche mit den Freunden. Die Tragweite ist mir erst beim Lesen der Briefe, Artikel, Gutachten und Urteile deutlich geworden. Die meisten Papiere hielt ich während der Recherche zum ersten Mal in Händen. Heute frage ich mich: In was waren wir da bloß geraten?
    Es gibt Momente, da kommt in mir ein Gefühl der Entfremdung auf. Wenn meine Familie über viele Jahre so von den Behörden behandelt wurde – ist das dann wirklich mein Land?
    Wir bekamen zwar deutsche Pässe, aber das schützte uns nicht vor rassistischen Anrufen Anfang der Neunzigerjahre, als die Stimmung nach zum Teil tödlichen Angriffen auf Ausländer in Hoyerswerda und Rostock, Hünxe, Mölln, Solingen und vielen anderen Orten in der Republik derart kippte, dass wir uns leise fragten, ob wir nun, mit unseren neuen Pässen, nicht doch in ein anderes europäisches Land gehen sollten.
    »Heil Hitler! Euch dreckiges Pack kriegen wir auch noch!«, brüllte eine Männerstimme in den Hörer. »Deutschland den Deutschen!« Klick. Aufgelegt. Keine Chance zu reagieren. Wir wussten nicht, wer das war. Woher der unsere Nummer hatte. Ob er uns überhaupt kannte oder einfach wegen unseres fremden Namens anrief.
    Es kamen auch Drohbriefe.
    In dieser Zeit vergewisserte ich mich abends, dass die Tür abgeschlossen und der Weg zur Hintertür, raus auf die Terrasse, frei war – für den Fall, dass jemand einen Brandsatz durch das große Wohnzimmerfenster werfen sollte. Auch das hatte uns jemand bei einem der Anrufe angedroht. Es war eine merkwürdige, von Angst bestimmte Zeit.
    In der Schule vertraute ich mich einer Lehrerin an, Manon Maliszewski, selbst Ausländerin, Französin. Ich erzählte ihr von den Anrufen und von meiner Sorge, meine Eltern könnten sich für einen Wegzug aus Deutschland entscheiden. In ihr fand ich eine Verbündete.
    Das Thema wurde plötzlich in der ganzen Schule diskutiert. Der Unterricht fiel aus, stattdessen sprachen wir stundenlang über Ausländerfeindlichkeit und was man dagegen tun kann. Die Solidarität meiner Mitschüler und Lehrer half mir über diese Situation hinweg.
    Die Anrufe hörten irgendwann von alleine auf.
    Ist es mein Land, wenn es Regionen gibt, wo Rechtsradikale sich rühmen, »national befreite Zonen« geschaffen zu haben? Wenn Politiker sich deswegen zwar betroffen zeigen und mit allerlei Erklärungen kommen, aber offenbar kaum etwas dafür tun können, dass dunkelhäutige Menschen sich wieder in diese Gegenden trauen, ohne Angst haben zu müssen, beschimpft, bedroht, gejagt zu werden?
    Dann, im nächsten Moment, fallen mir die Menschen ein, die mir viel bedeuten. Die, die zu meiner deutschen Ersatzfamilie geworden sind. Ich denke an meine Kindheit in Hollern, an meine Kindergarten- und Schulfreunde. Ja, natürlich ist es mein Land!

    Ich reise durch Indien und trage meinen alten Shalwar Kameez. Mir fällt auf, dass ich nicht auffalle. Niemand starrt mich an, niemand achtet auf meine Haut- und Haarfarbe, ich bin wie alle anderen.
    Small Talk im Taxi in Neu-Delhi. Ich erzähle dem Fahrer, wie sehr mir die Veränderungen in der Stadt bewusst werden: neue Geschäfte, saubere Straßen, der fröhlich-optimistische Blick der Menschen in die Zukunft. Er fragt mich: »Sir, woher kommen Sie?«
    »Aus Deutschland.«
    »Deutschland?«
    »Ja, meine Familie kommt zwar ursprünglich aus Indien, aber ich wurde in Deutschland geboren.«
    Er mustert mich aufmerksam im Rückspiegel seines klapprigen Ambassadors, während er mit unvermindertem Tempo über die holprige Straße brettert.
    »Aber Sie sind doch kein Deutscher!«
    Er mustert mich weiter.
    »Na ja, ich habe einen deutschen Pass, keinen indischen«, sage ich. »Also bin ich Deutscher. Oder wie sehen Sie das?«
    Wieder betrachtet er mich im Rückspiegel, diesmal mit einem Blick, der mir bedeutet, ich hätte gerade die dümmste Aussage meines Lebens gemacht. Er wackelt abwägend mit dem Kopf.
    »Sir, Ihr Pass mag deutsch sein, aber Ihr Blut ist indisch. Das ist, was zählt!« Als er das sagt, hält er sich die rechte Hand an sein Herz. »Sie fühlen sich doch nicht als Deutscher, oder? Ihre Identität ist indisch, nicht wahr?«
    Ich lächle ihn im Rückspiegel an und sage nichts. Ich weiß die Antwort in diesem Moment selbst nicht.
    Einige Tage später fahre ich zum Taj Mahal nach Agra. Ich kaufe eine Eintrittskarte für Inder, sie kostet zwanzig Rupien. Ausländer müssen achthundert Rupien
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