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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry
Autoren: Hasnain Kazim
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sich Frau Frauenkron bei meiner Mutter: »Ich glaube, auf eine Deutschprüfung und eine Überprüfung Ihrer Kenntnisse der deutschen Verfassung können wir verzichten«, sagte sie am Telefon. »Die pakistanischen Pässe bringen Sie dann bitte mit.«
    Dieser Tag im November ist an mir vorbeigegangen. Meine Schwester und ich waren in der Schule, als meine Mutter alleine zum Landkreis Stade fuhr und die deutschen Pässe erhielt sowie vier grüne Einbürgerungsurkunden.
    Meine Einbürgerungsurkunde – Ergebnis eines jahrelangen Kampfes

    Hasnain Niels Kazim, geboren am 19. 10. 1974 in Oldenburg/ Niedersachsen, Wohnort 2161 Hollern-Twielenfleth, hat mit dem Zeitpunkt der Aushändigung dieser Urkunde die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erworben. Ausgehändigt am 20. November 1990.

    Das ist das Papier, für das meine Eltern jahrelang gekämpft haben. Es ist das Papier, das wir nach dem Willen des Landkreises Stade und der Bezirksregierung Lüneburg wohl niemals hätten erhalten sollen. Jetzt bekam meine Mutter es überreicht, unterschrieben von zwei Beamten – vom Landkreis Stade und von der Bezirksregierung Lüneburg. Für dreitausendneunhundertachtzehn Mark.

    »Und unsere pakistanischen Pässe habt ihr einfach abgegeben?«, frage ich.
    »Wir hatten überlegt, sie zu behalten, aber wer weiß, ob das möglich gewesen wäre. Die pakistanische Botschaft teilte uns mit, dass das kein Problem sei«, sagt mein Vater. »Aber wir hatten Bedenken, dass sich unsere Einbürgerung dann wieder um mehrere Monate verzögert.«
    »Wir haben uns gesagt: Was sollen wir jetzt für die pakistanische Staatsbürgerschaft kämpfen, wenn wir endlich die deutsche bekommen«, ergänzt meine Mutter.
    Für meinen Vater war es das zweite Mal, dass er eine neue Staatsbürgerschaft annahm und eine alte abgab. 1947 hatte er die indische gegen die pakistanische eingetauscht. Damals war es die Entscheidung seiner Eltern gewesen.
    Was wohl gewesen wäre, wenn meine Eltern tatsächlich nach Schweden oder Frankreich oder Japan gegangen wären, nicht nach Deutschland? Oder doch nach Amerika oder Großbritannien? Wäre der Weg ebenso beschwerlich gewesen?
    Meine Eltern haben den Weg, den sie gegangen sind, selbst gewählt. Es war ein langer, steiniger Weg, ein Weg, den zu gehen viele Lebensjahre gedauert und viel Kraft gekostet hat.
    Er war länger als erwartet.
    Aber unterwegs haben sie auch viele tolle Menschen kennengelernt und ins Herz geschlossen. Sie haben Ersatzfamilien gefunden und Erfahrungen gemacht, die die meisten Menschen nie machen. Am Ende, und das ist doch die Hauptsache, sind sie an ihrem Ziel angekommen.

Epilog

Zwei Welten, drei Heimaten

    Warum sind meine Eltern in dieses Land gekommen? Was hat sie bewegt, hierzubleiben, obwohl sie den Behörden unerwünscht waren? Weshalb haben sie sich nicht ein neues Ziel gesucht? Früher, als Kind und Jugendlicher, stellten sich mir diese Fragen überhaupt nicht. Es war für mich unvorstellbar, woanders zu leben. Im Landkreis Stade hatte ich meine Freunde, mein Zuhause. Ich fühlte mich als Deutscher, bemühte mich, Deutscher zu sein.
    Ich engagierte mich als Jugendlicher kommunalpolitisch in Stade, entschied mich nach der Schule sogar für eine Laufbahn als Offizier bei der Bundeswehr, Teilstreitkraft Marine. Eine Schulfreundin sagte mir damals, ich sei deutscher als die Deutschen. Ich glaube, sie meinte das als Kritik. Ich fasste es als Lob auf.
    Erst als ich die angestaubten Dokumente meiner Eltern las und mit ihnen über ihren Lebensweg sprach, bekam ich die Antworten auf meine Fragen. Ich verstand, dass meine Eltern dort angekommen waren, wo sie immer hingewollt hatten. Aber mir kamen auch Zweifel: Wieso hatten sie so viele Demütigungen ertragen? War es das wert gewesen?
    Natürlich war es das. Wir hatten unsere Heimat in Hollern-Twielenfleth gefunden. So etwas gibt man nicht einfach auf. Niemand von uns wollte weg. Meine Schwester und ich nicht und meine Eltern auch nicht. Was hätten meine Eltern anderes tun sollen, als den Kampf aufzunehmen?
    Viele Menschen haben uns dabei geholfen. Aber mir war nicht bewusst, mit welchem Einsatz – bis ich die Briefe und Petitionen und Unterschriftenlisten gesehen habe. Seither empfinde ich noch größere Nähe zu diesen Menschen. So gesehen ist meine Nähe zu diesem Land gewachsen.
    Als Kind und Jugendlicher bekam ich die Sorgen meiner Eltern zwar mit. Aber mir war nicht klar, welche Dimension das hatte: das Bitten um Verlängerung der
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