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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry
Autoren: Hasnain Kazim
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dachten an uns Kinder. Wir hatten hier unseren Freundeskreis, gingen hier zu Schule, wollten auf keinen Fall weg. Nach langem Hin und Her entschieden sie sich, die Greencard nicht anzunehmen. Sie entschieden sich für Deutschland.
    Dabei war noch völlig unsicher, ob ihr Plan aufgehen würde.
Deutschland ist kein Einwanderungsland!
Dieser Satz klang noch nach. Selbst Lochtes Bemühungen und Gebete waren keine Garantie.

    Mein Vater fand gleich nach Abschluss seines Lehrgangs eine Anstellung bei einer Reederei im Alten Land und fuhr, da er kein Deutscher war, nicht als Kapitän, sondern als Erster Offizier zur See – jetzt weltweit. Ich bekam Postkarten aus Venezuela, Indonesien, Japan und Indien von ihm. Nun war ich alt genug, um den Beruf meines Vaters nicht mehr zu hassen. Er fuhr zur See, na und?
    Im Sommer 1987 zogen wir um. Wir verließen das schöne Haus, in dem wir so viele Jahre gelebt hatten. Der Abschied fiel uns schwer, es steckten so viele Erinnerungen in diesem Haus. Otti war besonders traurig, dass wir gingen. Unser neues Zuhause lag jedoch in derselben Straße, etwa einen Kilometer vom alten entfernt: ein kleines Einfamilienhaus zur Miete mit schönem Garten. Meine Eltern kauften ein größeres Auto und neue Möbel – endlich ging es uns auch finanziell wieder gut! Nur die Unsicherheit, ob und wann wir die Staatsbürgerschaft beantragen dürften, machte uns Sorgen.
    Meine Mutter verlangte nun noch einmal, arbeiten zu dürfen. Ein Übersetzungsbüro hatte sie gebeten, in Gerichtsprozessen, für Behörden und die Polizei zu übersetzen, in den Sprachen Urdu, Hindi, Englisch und Deutsch. Diese Chance wollte meine Mutter sich nicht entgehen lassen. Jetzt, da es auch im Interesse der Behörden war, kam ihr der Landkreis endlich entgegen. In ihre Aufenthaltserlaubnis schrieb nun ein Beamter:
»Erwerbstätigkeit nicht gestattet mit Ausnahme von Übersetzertätigkeit.«
Meine Mutter lernte viele Menschen aus Pakistan, Indien und Bangladesch kennen, für die sie übersetzte: Leute, die ihre Dokumente ins Deutsche übertragen lassen mussten, Asylbewerber, die ihr Schicksal einem Beamten vortrugen, Menschen, die wegen irgendeiner Sache angeklagt waren. Ohne die Hilfe meiner Mutter hätten die Richter, Polizisten, Behördenmitarbeiter diese Leute nicht verstanden. Das verschaffte ihr ein wenig Genugtuung. Sie war sprachliche – und ein bisschen auch kulturelle – Mittlerin.
    Meine Vermittlungsfähigkeit war gefragt, als Tante Zahra uns im Sommer 1988 wieder besuchte. Das letzte Mal, vor sechs Jahren, hatte sie mir Unheil gebracht. Was sollte nun kommen?
    Diesmal wollte sie mir einen Wunsch erfüllen. Sie versprach mir gleich am Tag ihrer Ankunft, sie wolle mir etwas kaufen, was ich schon immer haben wollte. Ich musste lange überlegen, bis mir einfiel, dass ich ein Diktiergerät brauchte. Ich besuchte inzwischen das Vincent-Lübeck-Gymnasium in Stade und schrieb dort für die Schülerzeitung. So ein Aufnahmegerät, wie es die richtigen Reporter hatten, wünschte ich mir.
    Wir fuhren nach Stade zu einem Elektronikladen. Meine Tante trug einen gelben Sari, darüber einen braunen Strickpullover, weil es für ihre Verhältnisse an diesem sonnigen deutschen Sommertag zu kalt war. Sie sah merkwürdig aus und fiel extrem auf. Mir war das ein bisschen peinlich.
    Der Verkäufer zeigte uns ein Gerät, das mir gefiel. Es sollte neunundneunzig Mark kosten.
    Meine Tante sagte auf Urdu: »In Ordnung, sag ihm, wir nehmen es für fünfzig.«
    Ich schaute sie an. »Für fünfzig? Es kostet aber neunundneunzig Mark. In Deutschland kann man nicht handeln.«
    »Okay, sag ihm, wir zahlen siebzig.«
    Der Verkäufer warf mir einen fragenden Blick zu.
    »Äh, meine Tante möchte nur siebzig Mark dafür zahlen.« Ich verschwieg, dass sie bei fünfzig Mark eingestiegen war.
    Der Verkäufer lachte.
    »Es kostet neunundneunzig, ich kann Ihnen leider keinen Rabatt geben.«
    »Was sagt er?«, fragte meine Tante. Ich übersetzte für sie.
    »Sag ihm fünfundsiebzig Mark«, war ihre Reaktion.
    Mir wurde die Situation immer peinlicher.
    »Man kann in Deutschland nicht handeln. Du musst die Summe zahlen, die auf dem Preisschild steht.«
    »Neunzig Mark?«
    »Bitte, kauf es nur, wenn du bereit bist, neunundneunzig Mark zu zahlen. Wir können hier nicht mit dem Händler über den Preis streiten.«
    Der Verkäufer stand sichtlich genervt mit dem Aufnahmegerät in der Hand da.
    »Also, wollen Sie es haben oder nicht?«
    Meine Tante überlegte eine
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