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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry
Autoren: Hasnain Kazim
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Hause.
    An solchen Tagen wurde nur Urdu beziehungsweise Hindi gesprochen, zwei sehr ähnliche Sprachen, fast wie Deutsch und Österreichisch, nur mit zwei gänzlich unterschiedlichen Schriften und ein paar verschiedenen Wörtern. Es wurde viel über Pakistan und Indien, über Schauspieler, Politiker und über die Daheimgebliebenen geredet – und über die Zukunft in Deutschland.
    Alle hatten vor allem mit der deutschen Sprache zu kämpfen. Sie bewunderten meine Eltern für ihre Deutschkenntnisse. Aber selbst meine Mutter kam nach so vielen Jahren in Deutschland und mehreren Sprachkursen hier und da durcheinander. »Warum heißt es ›das Mädchen‹ und nicht ›die Mädchen‹? Das ist doch verrückt!«, beschwerte sie sich manchmal.
    Eines Tages kam sie von einem Kaffeetrinken bei Hollerner Freundinnen nach Hause und kriegte sich kaum ein vor Lachen. »Die haben über eine Frau aus dem Dorf gelästert, die verheiratet ist und einen Geliebten hat. Sie sagten, sie wäre jetzt durchgebrannt. Ich war schockiert, wie sie so schlecht über diese Frau reden konnten, wo sie doch nur noch Asche war.« Die Freundinnen klärten sie dann auf.
    Meine Mutter sprach aber gut genug Deutsch, um längst alleine den Schriftverkehr mit den Ämtern zu erledigen oder zu Terminen mit der Ausländerbehörde zu fahren. Sie war
verhandlungssicher
.
    Die Behörde signalisierte meinen Eltern, dass sie durchaus bereit wäre, unsere Aufenthaltserlaubnis längerfristig zu verlängern – vorausgesetzt, mein Vater schließe die Seefahrtschule erfolgreich ab und finde im Anschluss Arbeit.
    Mein Vater stand unter unglaublichem Druck: Er machte sich Gedanken darüber, wie wir finanziell über die Runden kommen sollten und musste in dieser angespannten Situation lernen – abends nach dem Unterricht und an den Wochenenden, an denen wir ihn in seiner Wohngemeinschaft in Cuxhaven besuchten.
    »Ich
musste
die Prüfungen bestehen«, erinnert er sich. Denn davon hing nicht nur ab, ob er das Kapitänspatent für die Große Fahrt bekam, sondern auch, ob wir alle in Deutschland bleiben durften. »Eigentlich hatte ich keine Zweifel, dass ich es schaffe. Aber nichts zu verdienen, kein Einkommen zu haben, das war schwer.«
    Meine Mutter bat den Landkreis um eine Arbeitserlaubnis – sie wollte mit einem Teilzeitjob wenigstens ein bisschen zum Lebensunterhalt beitragen. Sie hatte sich überlegt, Englisch an der Volkshochschule zu unterrichten. Auch Pastor Lochte sprach mit den zuständigen Beamten. Doch die Behörde lehnte ohne Nennung von Gründen ab.
    Im Sommer 1986 bestand mein Vater sämtliche Prüfungen, er erhielt das Kapitänspatent für Große Fahrt.
    »Ich bewundere Sie, Herr Kazim«, sagte Pastor Lochte. Es war seine Art zu gratulieren.
    Unerwartet tat sich 1986 eine neue Chance auf: Ein Bruder meiner Mutter, der als Ingenieur bei der NASA in Houston, Texas, arbeitete, hatte eine Greencard für uns beantragt und für uns gebürgt. Er bot uns an, in die USA umzuziehen, da er gehört hatte, dass meine Eltern es in Deutschland schwer hatten. Meine Mutter hatte zugestimmt, ohne damit zu rechnen, dass es klappen könnte. Jetzt kam die Nachricht, dass wir die Erlaubnis erhalten würden, in den USA zu leben. Und beide, mein Vater und meine Mutter, dürften arbeiten. In einigen Jahren wären wir amerikanische Staatsbürger.
    »Hier in Amerika kann niemand den Finger auf euch richten und sagen: Ihr seid nicht von hier. Außer den Indianern ist niemand von hier«, meinte mein Onkel.
    Meine Eltern überlegten mehrere Tage, was sie tun sollten. Wollten wir weiter in Deutschland leben, aber die Greencard nicht verfallen lassen, mussten wir einmal im Jahr in die USA reisen und unseren Anspruch auf dieses Dokument erneuern. Sollten wir das machen? Lohnte sich der Aufwand? Wollten wir überhaupt in die USA?
    Pastor Lochte hatte uns versprochen, so lange zu kämpfen, bis wir die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten würden. Sollten wir ihm und all unseren Freunden, die uns geholfen hatten, sagen: Das war’s, wir gehen jetzt doch in die USA?
    »Sie müssen einige Jahre in Deutschland leben, bis Sie einen Antrag auf Einbürgerung stellen können«, hatte Lochte gesagt. »Aber Sie sind schon seit so langer Zeit hier, da machen ein paar weitere Jahre nichts aus. Warten Sie ab, eines Tages werden Sie Deutsche sein.«
    Aber die USA waren doch der ursprüngliche Traum meiner Mutter! Sollten sie wirklich die deutsche Staatsbürgerschaft der amerikanischen vorziehen?
    Sie
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